: Grundausbildungen des Sehens
Der Fotograf der Gesichter im Schatten: Christer Strömholm ist tot. Berühmt wurde er mit Bildern von Pariser Prostituierten und Transsexuellen
In Deutschland wird Strömholm hauptsächlich mit der „subjektiven Fotografie“ in Verbindung gebracht, da er von 1951 bis 1953 unter dem Pseudonym Christer Christian Mitglied bei Otto Steinerts „fotoform“ war. Die Betonung des Formalen allerdings war nur bedingt Strömholms Mittel der Wahl. Wie Nan Goldin dreißig Jahre später fühlte Strömholm sich mit jenen verbunden, die von der Gesellschaft ausgestoßen wurden oder sich bewusst für ein Leben außerhalb der Norm entschieden.
So sorgten seine Fotos der Prostituierten und Transsexuellen von der Pariser Place Blanche Ende der Fünfzigerjahre sogar in seiner liberalen Heimat Schweden für Aufsehen. Später allerdings prägte Christer Strömholm die Fotoszene Schwedens wie kein anderer. Als Gründer der legendären Fotoskola (Fotoschule) war er Vorbild für Generationen skandinavischer Fotografen. 1998 wurde Strömholm mit dem Hasselblad-Award für sein Lebenswerk ausgezeichnet.
Geboren 1918 in Stockholm, nahm der Sohn eines schwedischen Offiziers 1937 seine Ausbildung an der Akademie in Dresden auf, überwarf sich aber schon bald mit dem Professor. Aufgrund künstlerischer Meinungsverschiedenheiten („Entartete Kunst“) kehrte er Nazideutschland den Rücken und ging mit 19 Jahren nach Paris. Politisch aktiv wurde Strömholm im Spanischen Bürgerkrieg, wo er, ausgestattet mit dem Pass des neutralen Schweden, als Kurier tätig war.
Nach dem Krieg kehrte Strömholm nach Frankreich zurück und studierte Malerei an der Académie des Beaux Arts in Paris. Hier fand er ein Milieu, das ihn faszinierte, und entdeckte sein eigentliches Medium: die Fotografie. Er machte erste Porträts und Aufnahmen von Künstlern. Frankreich blieb für lange Zeit zweite Heimat, hier entstand wohl der wichtigste Teil seines großen Werks, wo ihm im letzten Jahr eine große Retrospektive gewidmet wurde.
Das Interesse für Randexistenzen teilte er mit seinem Freund Peter Weiss, mit dem zusammen er 1956 einen Dokumentarfilm über eine Stockholmer Bierhalle drehte („Gesichter im Schatten“). Von ihm übernahm er auch die Abendkurse für Gestaltung, aus denen sich in den Sechzigerjahren die einflussreiche Fotoschule entwickeln sollte. Sie war Ausbildungsstätte für die besten Fotografen Skandinaviens. Anders Petersen („Café Lehmitz“), Christer Landegren und der dänische Regisseur Bille August erhielten hier ihre Grundausbildung im Sehen. Wichtig waren Strömholm dabei Nähe, persönliche Verantwortung und eine eigene Position zu beziehen. „Ein Foto, das nur eine exakte Kopie eines Gegenstandes oder eines Menschen ist, bleibt immer nur eine Kopie.“
Strömholms Fotos erzählen von der Dynamik des Lebens, existenzieller Einsamkeit, Sinnlichkeit und Tod. Oft rätselhaft und bizarr, zeugen seine Bilder zugleich von einer großen Nähe. Er starb nach längerer Krankheit am 11. Januar im Alter von 83 Jahren in seiner Heimatstadt Stockholm. Er hinterlässt ein Werk, das in seiner Vielfalt in Deutschland noch entdeckt werden will.
ANN-CHRISTINE JANSSON
MIRIAM WIESEL
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen