piwik no script img

in fußballlandCHRISTOPH BIERMANN über Fußball in Afrika

Dribblings, egal wohin sie führen

Vielleicht liegt das Missverständnis auch daran, dass ich die ganze Sache im Kern nicht verstehe. Was nämlich der Clou beim afrikanischen Fußball ist und ich somit ein anderes Spiel sehe als die einheimischen Zuschauer im Stadion. Durusumi, der aus Sierra Leone kommt, in Ghana lebt und von dort aus den Hörern des BBC Worldservice etwas vermitteln will, was sie wohl kaum verstehen können, wenn sie nicht aus Afrika stammen, behauptet das. Wenn auch indirekt und sehr höflich. Dass sie in Afrika einfach anderen Fußball lieben. Etwa tolle Dribblings, egal wohin sie führen. Den brasilianischen Stil nennt er das. Und ich schaue etwas ratlos durch die Lobby des Hotel de L’Amitié in Malis Hauptstadt Bamako, was ein scheußlicher Bunker ist, und warte weiter auf Kaiserslauterns Ägypter Hany Ramzy, der nicht kommen wird.

Vielleicht schließt sich das auch mit einem anderen Großirrtum unserer bildlastigen Kultur kurz, der Vorstellung, dass es bei Fußballspielen auf dem afrikanischen Kontinent besonders enthusiastisch zugeht. Diese Annahme wird von Fotos fantastisch kostümierter Anhänger genährt, deren Maskeraden jeden noch so sehr dem Bizarren hingegebenen Karnevalisten aus dem Feld schlagen. Ganzkörperbemalungen in den Landesfarben gehören dazu oder Einfärbungen von Haupt- und Gesichtshaar, die es auch in Mali bei jenen Anhängern zu beobachten gibt, die ihren Teams gefolgt sind, um sie auf dem Weg zum afrikanischen Meistertitel zu unterstützen. Wobei am exzentrischsten eigentlich jener Fan war, der zum Eröffnungsspiel kam, sich unter dem Jubel der Zuschauer sein Hemd vom Körper riss, daraufhin in den Innenraum des Stadions gelassen wurde, wo er fortan seinen dicken Bauch auf und ab wippen ließ.

Zumindest das Stadion als Ort der Selbstdarstellung unterscheidet sich also in Afrika und Europa nicht, was auch für die Aufschneidereien der Fans gilt. Weshalb ich Mohamed, der vor dem Hotel einen Blick auf seine Helden erhaschen will, auch nicht wirklich glauben mochte, dass er eine Woche lang von Monrovia aus, der Hauptstadt Liberias, mit dem Auto unterwegs war, um über die Elfenbeinküste und Burkina Faso schließlich in Bamako anzukommen. Aber etwas Übertreibung würzt bekanntlich jede vernünftige Auswärtsfahrt.

Im Stadion übersetzt sich das jedenfalls nicht in jene Form von Unterstützung, die wir von daheim gewohnt sind, und hat zugleich nichts mit dem zu tun, was man aus den bunten Bildern von Trommelgruppen schließen würde. Die trommeln zwar wirklich ausführlich vor sich hin, was aber in keiner Beziehung zum Geschehen auf dem Spielfeld steht. Das sorgt für interessante Trance-Zustände, die schön mit der Ereignislosigkeit auf dem Platz korrespondieren, bis man plötzlich vom lautem Jubel des Stadions aus dem sich langsam anschleichenden Nickerchen aufgeschreckt wird. Das Publikum zeigt sich gerade begeistert von einer völlig zweckfreien Darbietung, wie etwa eines eleganten Dribblings, bei dem drei Mann ausgespielt werden, wenn der Trickser dabei auch in Richtung des eigenen Tors unterwegs ist. Durusumi hätte an dieser Stelle sicher zufrieden genickt.

Kann man das noch als Einführung in den Geist der Spielkunst an sich verstehen, bleibt die nächste Ruhestörung gänzlich unverständlich, als die eigentlich doch ebenfalls zu schlafen scheinenden Zuschauer wie elektrisiert aufspringen. Was ist passiert? Ist ein Tor gefallen? Nein! Der Schiedsrichter hat auf Freistoß entschieden! Auf Höhe der Mittellinie! Nach einer harmlosen Rempelei! Warum man dann jubelt, würde ich Durusumi noch gerne fragen. Ob es etwas damit zu tun, dass ein nach Gerechtigkeit hungernder Kontinent wenigstens einen Moment lang zufrieden ist, wenn ein Schiedsrichter zumindest auf dem Platz einmal Recht gesprochen hat? Aber, wie gesagt, vielleicht habe ich den Kern der ganzen Sache noch nicht wirklich verstanden.

Fotohinweis:Christoph Biermann, 40, liebt Fußball und schreibt darüber

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen