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daumenkinoSchlechtes Multikulti

My Sweet Home

Eines der hartnäckigsten Vorurteile über Migranten in Deutschland ist deren permanente Sinnkrise, verursacht durch Heimatlosigkeit oder gar Heimweh und Identitätssuche. Zerrissen zwischen Kulturen reiben sich die Individuen auf – bis ihnen jemand den Gefallen tut und sie in ihre „Heimat“ abschiebt.

Die Figuren in dem Debütspielfilm des DFFB-Filmstudenten Filippos Tsitos, 1966 in Athen geboren, 1991 nach Berlin gezogen, begießen ihr Elend und ihre Freude in einer Kneipe, die aussieht wie aus dem Multikulti-Baukasten zusammengewürfelt.

Bei Tsitos will ein Pärchen, das wie zufällig zusammenhängt, schnell mal vorm Tresen heiraten. Er ist Bruce Winter, Amerikaner, und nicht mal er weiß genau, ob er bleiben oder gehen soll. Seine Vielleicht-Ehegattin ist Anke (Nadja Uhl). Da die als Deutsche ja nicht heimatlos sein kann, also ihr irgendwie die Dramatik fehlt, hat Tsitos ihre leibhaftige Mutter (Monika Hansen) herbeizitiert. Die nun will eine original deutsche Hochzeit erleben, mit Freunden, die poltern. Freunde hat das Paar aber nicht. Also sollen alle, die gerade mal da sind, mitfeiern. Das findet die Mutti nicht so gut. Die nervt ihre Tochter und den Schwiegersohn in spe so lange, bis sie von Anke rausgeworfen wird.

Bis das endlich passiert, hören wir die Geschichten der Multikultis Berlins, die „zwölf Muttersprachen und kein Vaterland“ gemein haben. Russische Straßenmusikanten, die sich gegenseitig beklauen, der Brasilianer, der ausgewiesen werden soll, der marokkanische Bauarbeiter, der dummerweise nicht ausgewiesen wird und deshalb weiter im so kalten Berlin den Winter durchfrieren muss. Ach ja, nicht zu vergessen ein Jammerossi, der mit den anderen über die exakte Höhe der Staatsgrenze seines Landes Wetten abschließt. Noch jemand vergessen? Vielleicht die Koreanerin, die mies von ihrem Mann behandelt wurde und was Neues sucht.

Der Regisseur hat Vorbilder – was die Sache nicht besser macht. Denn wer sich von Emir Kusturica inspirieren lässt oder gar versucht, dessen Anarcho-Balkan-Kunsttrash nach Berlin zu implantieren, kann nur enttäuschen. Tsitos leiht gar die Musik bei Kusturica. Die Kneipenkapelle in „My Sweet Home“, die Balkan All Stars, hat auch die Musik zu „Schwarze Katze, weißer Kater“ beigesteuert. Ironie, Sarkasmus, starke Bilder, Boshaftigkeit, Gewalt und rohe Poesie findet man bei Kusturica. „My Sweet Home“ hat davon leider nichts. ANDREAS BECKER

„My Sweet Home“. Regie: Filippos Tsitos. Mit Nadja Uhl, Harvey Friedman, Monika Hansen, Deutschland/ Griechenland 2000

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