: „Gutes Öl muss leuchten“
Olivenöl ist zum universellen Schmiermittel für die moderne Küche geworden. Fast jeder benutzt es, aber keiner kennt sich richtig damit aus. Ein Interview mit einem Experten
von MANFRED KRIENER
taz: Herr März, Sie behaupten, dass viele italienische Olivenöle, die unter dem Ticket „extra vergine“ verkauft werden, richtig schlecht sind.
Andreas März: Olivenöl ist ein Modeartikel geworden, über dessen Herstellung die meisten Verbraucher nicht Bescheid wissen. Das wichtigste Orientierungsmittel war immer der Aufdruck „extra vergine“ und die Aufmachung der Flasche. Mehr Information hat der Verbraucher nicht zur Verfügung. „Extra vergine“ galt als beste Qualität. Wenn man sich die Vorschriften für „extra vergine“-Öle aber genauer ansieht, dann erkennt man, dass die Qualitätsnormen niedrig sind.
Das Olivenölgesetz von 1991 hatte doch ursprünglich strenge Vorgaben.
Das ist richtig. Aber schon nach wenigen Monaten wurden die Vorschriften abgetakelt. Das ursprüngliche Gesetz war so streng, dass es unmöglich gewesen wäre, „extra vergine“-Qualitäten in großen Mengen für den Markt bereit zu stellen. Auf Drängen der Großanbieter wurden die Qualitätsansprüche deshalb mehrfach abgesenkt. Mit dem Ergebnis, dass die Bezeichnung „extra vergine“ inzwischen eine untaugliche Orientierungsgröße ist. Öle unter dieser Bezeichnung versprechen keinesfalls automatisch große Genüsse.
Die Bezeichnung „extra vergine“ steht dafür, dass die Oliven ohne Hitzeextraktion und chemische Mittel nur mit Hydraulik und Zentrifugen gepresst werden und dass die gewonnenen Öle geschmacklich zumindest sauber sind. Ist das gewährleistet?
Nein, das ist nicht der Fall. Bei der vorgeschriebenen Geschmacksprüfung muss ein Öl der Bezeichnung „extra vergine“ 6,5 Punkte erzielen. Das ist eine durchschnittliche Note. Öle, die diese Punktzahl erreichen, können durchaus leichte Fehltöne aufweisen, können minimal ranzig sein.
Wenn sich der Verbraucher nicht mehr auf das Label „extra vergine“ verlassen kann, woran soll er sich dann noch orientieren? Ist der Gehalt an freien Fettsäuren ein zuverlässiges Gütekriterium?
Man darf vom Olivenöl nicht mehr verlangen als vom Wein. Auch dort gibt es viele Bezeichnungen, in Deutschland etwa Spätlese oder Auslese oder in Frankreich die geschützte Ursprungsbezeichnung AOC, die aber noch nichts über die Qualität im Glas aussagen. Das sind Mindeststandards, relativ tief gehängte Messlatten. Genau so ist es mit „extra vergine“. Der Verbraucher kann sich nur auf den eigenen Gaumen verlassen. Es bleibt nichts anderes übrig, als mit Freunden zusammen einmal fünf, sechs Öle parallel zu probieren, um die Unterschiede kennen zu lernen. Der Gehalt an freien Fettsäuren ist lediglich einer von mehreren Indikatoren für Ölqualität. Das Gesetz schreibt vor, dass „extra vergine“ nicht mehr als ein Prozent freier Fettsäuren aufweisen darf. Dieser Wert liegt bei einem Spitzenöl aber um die 0,2 Prozent, bestimmt nicht über 0,4 Prozent. Allerdings ist Misstrauen angesagt, wenn mit freien Fettsäuren geworben wird. Sie sagen lediglich etwas über den chemischen Gesamtzustand eines Öls aus, aber nichts über geschmackliche Vorzüge.
Kann man sich am Preis orientieren?
Die Wahrscheinlichkeit, dass ein billiges Öl schlecht schmeckt, ist natürlich groß. Ich stelle selbst Olivenöl her und kenne die Kostenseite. Unter zehn Euro pro Liter werden Sie in Italien ab Produzent kein wirklich gutes authentisches Öl bekommen.
Was macht gutes Olivenöl teuer?
Qualitätsöle entstehen durch Handarbeit. Die Ernte mit den Arbeitskosten für die Helfer ist der wichtigste Kostenfaktor.
Auf historischen Darstellungen sieht man die Erntehelfer, wie sie mit Stöcken die Oliven vom Baum schlagen. Wie läuft das heute in einem guten Betrieb tatsächlich ab?
In einem guten Betrieb wird keine einzige Olive vom Boden aufgelesen. Da wird auch nicht mit Stöcken geschlagen. Die Oliven werden von Hand von den Zweigen gestrippt. Das Herunterschlagen verletzt nicht nur den Baum, sondern auch die Oliven. Sobald die verletzt sind, beginnt die Oxidation und damit die Qualitätsminderung. Ein weiterer wichtiger Qualitätsfaktor ist die schnelle Verarbeitung nach der Ernte. Wenn man Oliven stundenlang herumstehen lässt, erwärmen sie sich in den unteren Schichten und beginnen zu oxidieren. Die Oliven müssen bis zur Verarbeitung kühl gelagert werden. Betriebe mit eigener Ölmühle sind natürlich im Vorteil und können die Ernte frisch verarbeiten. Für mich ist die moderne Verarbeitung im Edelstahl unter Luftabschluss die beste Methode.
Welche Rolle spielt der Erntezeitpunkt für die Qualität?
Je früher geerntet wird, desto fruchtiger fällt das Öl aus. Man sollte nicht warten, bis die Oliven komplett ausgereift sind. In der Toskana, wo mehr und mehr grüne, fruchtige Öle produziert werden, beginnt man schon ab dem 20. Oktober mit der Ernte, die bis Weihnachten abgeschlossen ist. Wenn der erste Frost drüber geht, kann man die Oliven wegschmeißen, dann bekommen Sie kein gutes Öl mehr. Toskanisches Öl gehört zu den besten, weil dort die Olivenölkultur ausgeprägter ist. Man muss sauber und hygienisch arbeiten, die Ölmühlen müssen tiptop sein, und das ist in der Toskana öfter der Fall als in anderen Regionen.
Jede Region hat eigene Olivensorten. Sind die in der Qualität sehr unterschiedlich?
Die Unterschiede zwischen den Ölen der verschiedenen Olivenregionen des Mittelmeerraumes, aber auch innerhalb Italiens, sind groß. Leider machen aber weniger die Sorte, das Klima oder der Boden den Unterschied, als vielmehr die Art der Ernte und Verarbeitung. Um von Typizität sprechen zu können, muss ein Öl erst mal komplett reintönig sein. Das kommt viel zu selten vor. Um die Typizität von Topölen bekannt zu machen, wird unsere Redaktion auf der nächsten ProWein in Düsseldorf siebzehn Olivenöle aus siebzehn italienischen Regionen zur Verkostung anbieten.
Es ist ein offenes Geheimnis, dass „italienisches“ Olivenöl manchmal aus Spanien oder Tunesien stammt.
Italien verbraucht viel mehr Öl, als es selbst produzieren kann, zudem werden beträchtliche Mengen ausgeführt. Italien muss daher rund eine halbe Million Tonnen Olivenöl jährlich importieren. Der Missbrauch, fremde Öle als „Made in Italy“ zu etikettieren, wurde im Juni 2001 von der EU endlich abgeschafft. Gemäß der neuen Gesetzeslage gilt als Herkunft eines Öls nicht mehr der Ort der Abfüllung oder Verarbeitung, sondern der Ort, wo die Oliven geerntet wurden.
Achtzig Prozent der Öle kommen von großen Erzeugern. Produzieren die wirklich nur Durchschnittsware oder sogar fehlerhafte Öle? Beim Wein haben die großen Häuser zumindest einen Spitzenwein.
Die Weinkultur ist sehr viel fortgeschrittener als die Ölkultur. Die großen Anbieter besitzen keine Olivenhaine, sie kümmern sich nicht um die Ernte und Produktion. Sie kaufen für wenig Geld im großen Stil Öle auf, mischen sie zusammen und füllen sie ab. Richtig gute Öle gibt es auch in Italien nur wenige. Das größte Problem ist, dass die meisten Verbraucher noch nie in ihrem Leben ein richtig gutes Öl probiert haben. Sie wissen nicht, wie eine Spitzenqualität schmeckt, und geben sich deshalb mit dem zufrieden, was für fünf oder sechs Euro angeboten wird. Hauptsache Olivenöl „extra vergine“. Beim Wein wissen die Leute allmählich, wie eine saubere gute Flasche schmeckt. Beim Öl noch nicht.
Wie muss ein wirklich gutes Öl schmecken?
Es schmeckt wie frische duftende Oliven. Es muss einen grünen Schimmer haben, es muss leuchten. Es muss frisch riechen, nach grünem Gemüse, nach Artischocken oder grünen Tomaten. Auch nach frisch geschnittenem Gras kann es duften.
Wie ist es mit Bitterkeit und Schärfe?
In einem guten jungen Öl muss ich beides finden: einen leichten Bitterton und die Schärfe. Das sind typische Geschmacks- und Qualitätsmerkmale. Gute Olivenöle müssen auch lang sein am Gaumen. Wenn man öfter probiert, bekommt man schnell ein Gefühl für Qualität. Durch die Masse von mittelmäßigen und minderwertigen Ölen werden die wirklich guten Sachen verdeckt. Für die Toperzeuger ist es gar nicht einfach, ihre Öle kostendeckend zu verkaufen, denn die Preise der industriellen Öle, deren Anschaffungswert im besten Fall um die zwei Euro pro Liter liegen, konditionieren den Markt.
Wie verkostet man eigentlich ein Olivenöl?
Die offizielle Jury benutzt einen kobaltblauen Glasbehälter mit einem Deckel drauf. Wichtig ist der Deckel. Man nimmt also ein Keramikgefäß oder ein Glasgefäß mit einem Deckel und träufelt etwas Öl hinein. Dann lüften und schnell die Nase ran. Es macht keinen Sinn, Olivenöl mit dem Löffel zu probieren, weil Sie da nichts riechen. Beim Geschmackstest trinkt man dann einige Tropfen direkt aus dem Gefäß. Mehr als fünf oder sechs Öle hintereinander sollte man aber nicht probieren, weil dann der Gaumen dicht macht und erschöpft ist. Auch die Profis verkosten nicht mehr als sechs Proben, weil gutes Olivenöl nun mal bitter und scharf ist.
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