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Bildungsreise zum Spinat

Wie die dritte Klasse aus dem Edwin-Scharff-Ring das Ökogut Wulksfelde besucht und lernt, dass Tiere auch geschlachtet werden  ■ Von Christine Plaß

Es ist ein grauer Morgen im Herbst. Immerhin regnet es nicht. In dicken Anoraks stehen Dagmar Pöpsel und Christina Zurek am Nordrand von Hamburg im Schlamm. Eine kleine Menschenmenge bewegt sich in erstaunlichem Tempo auf sie zu. Als sie um neun auf Gut Wulskfelde eintreffen, haben 23 Kinder und eine Lehrerin schon einen weiten Weg mit Bus und Bahn hinter sich. Klasse 3c der Grundschule Edwin-Scharff-Ring 56 ist aus Steilshoop gekommen, um die ökologische Landwirtschaft kennen zu lernen.

Der Schlamm ist allerdings nicht nach ihrem Geschmack. „Iii, nicht dreckig machen!“ ist das erste, was Gärtnermeister Martin Grunert zu hören bekommt, als er der Gruppe entgegenläuft. Christina Zurek erklärt den Kindern, was sie machen sollen, wenn sie im Matsch stecken bleiben. Ein paar Kinder diskutieren darüber, ob Gummistiefel immer wasserdicht sind. Es bleibt bei geteilten Meinungen. Die meisten wirken ziemlich erleichtert, als sie hören, dass sie als erstes die Bäckerei besuchen dürfen.

Dort ist es warm, trocken und sauber. Martin Grunert erklärt, woraus Brot besteht. Klassenlehrerin Erika Martini fragt, ob die Kinder noch wissen, wie Getreide aussieht. „Ja“, schreien die Kinder. „Ein Glück!“, seufzt Frau Martini erleichtert. Zwei Wochen hat sie die Kinder auf den Besuch des Biobauernhofs vorbereitet.

Gut Wulksfelde ist einer von elf Biolandhöfen, die das „Ökomarkt Schulprojekt“ mit Kindern ab vier Jahren besucht. „Auf Wulksfelde finden die meisten Führungen statt“, sagt Christina Zurek, „da für kleinere Kinder die Tiere das Wichtigste sind.“ Sie selbst findet das ein bisschen schade, da die anderen ökologisch wirtschaftenden Betriebe ebenfalls einiges zu bieten haben: so etwa eine Wildstaudengärtnerei oder der Obsthof, auf dem die Kinder Saft pressen können.

In der Bäckerei hat sich die Klasse 3c ein Brot ausgesucht. Wie gesund das ist, haben die Kinder schon gelernt. Aber dass es auch schmeckt, ist für manche eine neue Erfahrung. „Es geht nicht darum, dass die Kinder jetzt auf einmal alle „Bio“ kaufen sollen“, sagt Zurek. „Es geht darum, den Kindern sinnliche Erlebnisse zu ermöglichen, die im Gedächtnis bleiben: Kein Kind weiß, wie Spinat aussieht. Und dass die Tiere, die man hier streicheln kann, geschlachtet werden, wollen selbst Erwachsene oft nicht wissen.“

Endlich geht es zu den Tieren. „Warum gibt es Schweine auf dem Bauernhof?“ fragt Martin Grunert die Kinder. Dass die Schweine Mist machen und der Mist die Pflanzen düngt, wissen sie schon. Mehr fällt ihnen erst mal nicht ein. Macht nichts. Vielleicht wissen es ja die Schweine.

Wir rennen zu den Ställen. Die Kinder stellen missbilligend fest, dass es dort stinkt. „Die Schweine sind, aufgeteilt nach Altersgruppen, in Klassen, genau wir ihr“, erklärt Grunert. Sie können im Stall, auf der Wiese und im Freien herumlaufen. Konventionell gehaltene Ferkel bekommen Schwanz und Ohren abgeschnitten, sie können nicht nach draußen und erst recht nicht besucht werden.

Das erzählt Grunert den Kindern im Grundschulalter aber noch nicht. Sie sollen noch an eine heile Welt glauben dürfen. Dass Schweine gegessen werden, fällt Klasse 3c aber doch noch ein. Und dann wollen sie auch genau wissen, wie die Schweine geschlachtet werden.

Es ist gar nicht so einfach, die Kinder vom Schweinefüttern wieder abzubringen. Den Anblick von 250 Gänsen, die vom Stall auf die Weide getrieben werden, will sich aber niemand entgehen lassen. „Das ist jedes Mal wieder beeindruckend“ sagt Dagmar Pöpsel, die Praktikantin von „Ökomarkt“. Begeistert rennen die Kinder den Gänsen hinterher und haben schon fast vergessen, wie eklig der Matsch ist. Steckengebliebene zieht Landespflegerin Zurek wieder heraus.

Während die Gänse vor den Kindern flüchten, kommen ein paar schwarze Rinder neugierig sie zu. Diesmal haben die Kinder nichts dagegen, zur nächsten Station überzugehen. Es warten 800 Hühner, denen sie die warmen Eier unter dem Hintern wegnehmen dürfen.

Letzte Station ist der Kuhstall. „Woran erkennt man die Frau bei den Kühen?“, will ein Junge wissen. Die Kinder haben sich um ein Bigpack versammelt und wühlen mit beiden Händen für eine lange Weile in getrockneten Erbsen. Solche Momente des selbstvergessenen Eintauchens in die Umgebung sind Martin Grunert die Liebsten. Als die Kinder anfangen, sich mit Erbsen zu beschmeißen, weiß er, dass es Zeit ist, zu gehen. In der Kantine des Gutshofs wartet schon das Mittagessen auf die Kinder.

„Wir haben richtig heftig gearbeitet“ erzählt Steven beim Reisauflauf seinen Klassenkameraden von der anderen Gruppe. Nach dem Essen noch ein Abschlusskreis im Freien. Die Sonne scheint. Es ist kurz nach 12 Uhr. Erstaunlich schnell ist Klasse 3c wieder verschwunden.

Erlebnistage und Projektwochen für Kinder und Jugendliche auf Hamburgs Öko-Höfen kosten zwei Euro pro Person. Informationen beim Schulprojekt Kinder & Landwirtschaft, Tel.: 43 27 06 02, E-Mail: Tel.: schulprojekt§oekomarkt-hamburg.de

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