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Eine Frage des Berufsethos

■ Technisch perfektes Metal-Quintett: Die New Yorker Branchen-Aushängeschilder Dream Theater im Docks

Der Bereich der härteren Rockmusik – der Begriff Heavy Metal ist in den Feuilletons bedauerlicherweise Musikern aus dem Spektrum diesseits der Drei Ackorde vorbehalten – hat eine Unzahl technisch brillanter Bands hervorgebracht. Diese sind entweder längst zur Ikone stilisiert worden (siehe Kanadas einschlägige Legende, die langlebigen Rush), oder sie sind in der zurückliegenden Dekade lautlos dahingeschieden (so etwa Fates Warning oder Psychotic Waltz). Und das lag nicht etwa nur an der nietenbewehrten Renitenz eines unterstellt konservativen Publikums, sondern auch an einer kompositorischen Sperrigkeit dieser Bands, die kaum einen emotionalen Zugang zu ihrer Musik zuließ.

Ganz anders Dream Theater aus New York. Die fünf Progressive-Metaller – allesamt studierte Musiker – begnügen sich nicht mit spieltechnischer Perfektion. Sie sind zudem exquisite Songwriter, die es bei Bedarf auch mal ganz banal rocken und rollen lassen. Die wahre Nonchalance erwächst hier offenbar aus dem Wissen darum, dass man sich handwerklich nicht mehr beweisen muss. Für Drummer Mike Portnoy ist ein 63/64 Takt ein lässliche Fingerübung, während Bassist John Myung nur live beweisen kann, dass er tatsächlich der Gattung des Homo sapiens erectus angehört: Wer ihn nur auf CD hört, könnte dagegen glauben, der Mann bediene wenigstens einen 16-Saiter mit ebenso vielen Fingern. Während der oft auf Pink Floyd-Länge angelegten Stücke liefern sich Jordan Rudess (Keyboard) und John Petrucci (Gitarre) wahre Verfolgungsjagden auf ihren Instrumenten, um sich nach handgestoppten viereinhalb Minuten („Pull me under“) am Konvergenzpunkt zu vereinen.

Petrucci, der auf Konzerten neben dem stets etwas distanziert wirkenden Sänger James La Brie im Mittelpunkt steht, weiß wie die Genre-Heroen Zakk Wylde (Black Label Society) und Yngwie Malmsteen, dass er gut ist. Im Gegensatz zu ihnen sind ihm affektierte Gesichtszuckungen aber ebenso fremd wie die üblichen gestischen Machismen der Branche.

Eine solche Band muss wohl jeden Rezensenten an dem eigenen Anspruch des kritischen Journalismus scheitern lassen: Dream Theater sind – nach vielerorts gültigen Maßstäben – bedauerlicherweise musikalisch perfekt, auch wenn die Heiligsprechung der Band das Berufsethos auf den Plan rufen mag.

Mit der neuen Doppel-CD Six Degrees of Inner Turbulence wollten die fünf Musiker das Niveau des formidablen 1999er Albums Scenes from a Memory halten, das vor allem die Spielfreude der Band meisterhaft abbildete.

An diesem Anspruch sind Dream Theater gescheitert – allerdings nur vordergründig. Six Degrees... erschließt sich auch nach dem dritten Durchlauf nicht vollständig. Doch der Eindruck der Sperrigkeit täuscht: Das Album ist allenfalls ein wenig experimenteller geworden, singletaugliche Tracks wie „Surrounded“ (1992) oder auch „Finally Free“ von Scenes... fehlen völlig. Wer den Viertelstunden-Track „The Great Debate“ oder „The Glass Prison“ mehr als zwei Chancen gibt, weiß jedoch, dass die fehlende Chartkompatibilität beileibe kein Makel ist.

Der mediale Szene-Seismograph Rock Hard befand dennoch, dass Six Degrees nicht ganz an seinen Vorgänger heranreiche. Damit hatte er im Prinzip Recht. Der Platte deswegen aber nur – ausgerechnet – 9,5 von 10 Punkten zu verleihen, dürfte die größte Amtsanmaßung seit, sagen wir: Gutenberg sein. Berufsethos hin oder her.

Christoph Ruf

mit Pain of Salvation: Sonntag, 20 Uhr, Docks

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