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Die Rentnerendlagerstätte

Urlaub im deutschen Bundesland La Palma. Eine dringende Reisewarnung

Das Schöne an La Palma ist, dass man der Insel keine Träne hinterherweint. La Palma gehört zwar zu Spanien, faktisch handelt es sich jedoch nur um ein weiteres Bundesland der BRD. Bevölkert wird die Insel vor allem vom rüstigen, in diversen Schlussverkäufen nahkampferprobten Rentner und vom Aussteiger auf Selbsterfahrungstrip. Aber auch kahl rasierte Vertreter der Techno-Generation mit Zaimoglu-Bärtchen, großflächigen Tatoos, Goldkettchen und einem aktiven Wortschatz von mindestens 50 Einheiten begegnet man. Sie haben sich auf Grund der günstigen klimatischen Bedingungen fast überall auf der Insel niedergelassen, die nun vollständig zersiedelt ist, und das ist nicht schön. Genauso wenig wie die überall verstreuten christomäßig verpackten Bananenplantagen, in denen der Spanier sein karges Auskommen fristen muss, während der Deutsche sich von staatlichen Revenuen ernährt und den Einheimischen zu niederen Dienstleistungen zwingt. Im Laufe der Zeit haben sich die Kanaren assimiliert und sind inzwischen zu den besseren Deutschen geworden, quasi zu den Zonis unter den Deutschen.

Beschaulich in einem Café direkt am Meer zu sitzen, ist nicht, denn nicht nur besteht die gesamte Insel aus unwirtlicher vulkanischer Stein- und Steilküste, auch wo es möglich wäre, weiß der Spanier das zu verhindern. In Santa Cruz, Hafen und Hauptstadt der Insel, liegt vor der Küste zwar ein Café neben dem anderen, aber davor befindet sich nicht nur eine viel befahrene Durchgangsstraße, der Blick aufs Meer wird clevererweise auch noch durch einen riesigen Autoparkplatz verstellt. Und auch auf den Terrassen von Cafés, die in den Bergen liegen und zum „Schönen Ausblick“ heißen, wird selbiger nicht selten von hohen Betonmauern versperrt.

Der café con leche wird einem laut und klappernd, nie jedoch elegant serviert, und wenn es technisch machbar wäre, würden sie einem die Tasse mit Inhalt von weitem zuwerfen. Selbst in traumhaften Cafés unter riesigen, Schatten spendenden Lorbeerbäumen, wo man seine Zeit gern und mit schnurrendem Dösen in der Sonne verbringt, sorgt der Spanier für lästige Beschallung mit üblen einheimischen Schnulzen, manchmal auch zwei verschiedenen auf einmal, wenn man das Pech hat, im akustischen Fadenkreuz eines anderen Restaurants zu sitzen.

Ruhe sollte man daher erst gar nicht suchen und sich lieber gleich ins Zentrum des Taifuns und des ständigen Ramenterns begeben, zum Beispiel in die „Bar Pol“. Dort kann man vom Tresen aus dem neuen Dream-Team von Real Madrid zugucken. Es herrscht ein reges Kommen und Gehen, ein reibeisernes Meckern und rasselndes Keckern, Wegtrinken harter Substanzen, ein kontrolliertes Schwanken und Schlurfen. Hier werden stattliche Bäuche herumgetragen, rauhe, wettergegerbte Gestalten mit ledriger Haut, grobporigen Nasen und Dreitagebärten, die nicht so aussehen, als würde man sie aus ästhetischen Gründen tragen. Hier ist niemand eine Schönheit und hier will es auch niemand sein. Wenn es irgendwo noch so was wie ein Proletariat gibt, hier in der „Bar Pol“ scheint es ein letztes Refugium gefunden zu haben.

In der „Bar Pol“ verfällt niemand in enthemmtes Gegröle, wenn ein Tor fällt, wie in einschlägigen Berliner Etablissements, denn der Fußball wird nur beiläufig beäugt, und nur wenn das Spiel wirklich gut ist, riskiert man mehr als nur ein Auge. Hier pickt man sich genießerisch die Leckerbissen heraus, während man ansonsten Dringendes beredet. Mitten im Trubel findet man hier zur heiteren Gelassenheit zurück. Die „Bar Pol“ und die alten Männer sind das Einzige, was man ein wenig von der ansonsten erstaunlich unattraktiven Insel vermissen wird. Aber als Endlagerstätte für deutsche Rentner hat die Kanaren-Insel auch eine durchaus soziale Funktion, denn dadurch wird Deutschland wieder etwas menschlicher. KLAUS BITTERMANN

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