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Kirchtürme mit Knoblauchkuppeln

Gregor von Rezzori hat dem Balkan mit seinen „Maghrebinischen Geschichten“ ein komisch-absurdes Denkmal gesetzt. Aktuell ist er noch immer

„Maghrebinien ist schön. Sein Himmel ist übersät von Myriaden funkelnder Gestirne und geschwängert von den Düften der Rosen und des Hammelfetts. Sein Äther ist durchpulst vom ewigen Gezirpe der Zigeunerfiedeln und vom rhythmischen Klatschen der Stockhiebe auf den Rücken störrischer Esel und unfolgsamer Weiber. Es ist ein Land, in dem man tausend Zungen spricht und nur eine Sprache: die einsichtstiefe Sprache weiser, knoblauchgesättigter Herzen.“

So beschreibt Gregor von Rezzori auf den ersten Seiten seiner „Maghrebinischen Geschichten“ ein fiktives Land, von dem „manche behaupten, es liege im Südosten – oder gar: es sei schlechthin der Südosten“.

Schnell wird klar: Es geht um den Balkan. Maghrebinien ist ein ebenso liederliches wie spießbürgerliches Land, das sich selbst für das größte, beste und ruhmreichste hält. Einen „balkanischen Operettenstaat“ hat Gregor von Rezzori einmal dieses Land genannt, das er in seinen „Maghrebinischen Geschichten“ in Dutzenden komisch-absurder Anekdoten und Geschichten porträtiert. Wer sich auskennt in Mittel- und Südosteuropa, wird von allen Ländern etwas wiederfinden – von Österreich über Tschechien, Ungarn, Serbien, Rumänien, Bulgarien und Griechenland bis zur Türkei. Vor allem aber geht es um Rumänien – zu erkennen an den Eigennamen und Begriffen, die meistens dem Rumänischen entlehnt sind.

Die meisten Maghrebinier sind Tagediebe, die am liebsten faulenzen. Beherrscht wird Maghrebinien vom Geschlecht der Karakriminalowitschs, die selbst die größten Faulpelze und Schwindler sind. Sie residieren in der Hauptstadt Metropolsk, deren bedeutendste Straße „Boulevard der Taschendiebe“ heißt.

Das nennenswerteste Anbauprodukt und zugleich Hauptnahrungsmttel in Maghrebinien ist der Knoblauch. Der Knoblauch ist überhaupt der „Lotos Maghrebiniens“, und alle Kirchen tragen Knoblauchkuppeln auf ihren Türmen. Verfassung und Gesetze des Landes beruhen auf zwei Säulen: auf der „Gelassenheit der Seele und dem Bakschisch“. Doch „recht eigentlich, verstehen Sie, recht eigentlich besteht das große und ruhmreiche Land Maghrebinien nur aus Geschichten, es ist vom einen bis zum anderen Ende daraus gemacht“.

Gregor von Rezzori war selbst einmal rumänischer Staatsbürger. Geboren wurde er als Sohn eines k. u. k. Beamten und Nachfahre sizilianischer Adliger 1914 in Czernowitz, der Hauptstadt des habsburgischen Kronlandes Bukowina, das 1919 an Rumänien fiel. Rezzori ging im siebenbürgischen Kronstadt zur Schule, war Maler und Zeichner in Bukarest, studierte in Österreich Architektur und Medizin, arbeitete nach dem Krieg in Hamburg als Journalist, schrieb Romane, Erzählungen, Hörspiele, war manchmal Schauspieler, vor allem aber aristokratischer Lebemann, Schöngeist und Frauenheld.

Nach dem Krieg staatenlos, lebte er seit 1960 in der Toskana. Dort starb er 1998. Mit seinem scharfen, politisch völlig unkorrekten Humor, mit dem er auch über sich selbst sprach, hatten die Deutschen nicht selten Schwierigkeiten. Die deutsche Literaturkritik wusste ihn nicht recht einzuordnen zwischen den Kategorien „U“ und „E“. Zu Lebzeiten manchmal gefeiert, ist er heute ein beinahe vergessener Schriftsteller. Einzig seine „Maghrebinischen Geschichten“, sein erfolgreichstes Buch, erleben immer neue Auflagen und haben sich seit ihrem Erscheinen 1958 fast vierhunderttausend Mal verkauft. Wer nach Rumänien oder anderswo nach dem Balkan fährt, sollte das Buch während der Reise lesen. Eine bessere Landeskunde gibt es nicht.

Gregor von Rezzori: „Maghrebinische Geschichten“, Hamburg 1958, dtv, 152 Seiten, 4,90 €

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