: Panzertrupp Rechtspflege
■ Wanderausstellung des niedersächsischen Justizministeriums informiert über Justiz im Nationalsozialismus. Jetzt bekommen auch in Verden Opfer und Täter ein Gesicht
Ein typischer Fall für einen NS-Juristen ist Hermann Lindemann (1880-1952). Der Hauptmann der Reserve trat nach dem verlorenen Weltkrieg der Deutschnationalen Volkspartei und der republikfeindlichen Soldatenorganisation „Stahlhelm“ bei. Die Demokratie der Weimarer Republik hat der Verdener Richter von Anfang an nicht nur abgelehnt, sondern zum Teil aktiv bekämpft. Nach 1933 stieß er zur SA und zur NSDAP. 1938 wurde er Präsident des Verdener Landgerichts, anschließend Ratsherr, 1942 Bürgermeister. Die Briten stuften ihn trotzdem in die Kategorie IV „Mitläufer“ ein. Juristisch blieb er völlig unbehelligt.
Die wichtige Rolle der NS-Juris-ten beleuchtet die Wanderausstellung „Justiz im Nationalsozialismus – Über Verbrechen im Namen des Deutschen Volkes“. In Auftrag gegeben hat sie das niedersächsische Justizministerium. Die Ausstellung tourt derzeit durch verschiedene Gerichtsstandorte und machte vor kurzem Station am Landgericht Verden.
Neben einem niedersachsenweiten Teil, der über die allgemeinen Trends in der NS-Justiz informiert, hat die Ausstellung vor Ort jeweils einen lokalspezifischen Anhang. Dadurch bekommen Täter, aber auch die Opfer ein Gesicht. Und die Schau verdeutlicht: Der Nationalsozialismus hat nicht nur vom antidemokratischen Korpsgeist der Juris-ten und deren reaktionärer Auslegung bestehender Gesetze allein gelebt. Er hat sich auch materiell sein eigenes „Recht“ geschaffen. So trat zum Beispiel bereits im Juli 1933 das „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ in Kraft, das sich gegen Behinderte richtete. Als Folge wurde zum Beispiel in Verden ein „Erbgesundheitsgericht“ geschaffen. Dort allein kam es zwischen 1934 und 1944 zu 3.142 Verfahren. Ein Richter und zwei Ärzte verfügten 2.377 Zwangssterilisierungen (reichsweit waren das damals über 400.000).
Im Krieg traten zusätzlich noch Gesetze in Kraft wie die „Kriegssonderstrafrechts-Verordnung“, die „Polenstrafrechts-Verordnung“ oder die „Volksschädlings-Verordnung“. Viele einfache Vergehen wurden mit der Todesstrafe geahndet. Auf den wachsenden Widerstand in den besetzten Gebieten regierten die Nazis mit dem Paragrafen 91b: „Feindbegünstigung“. Auch darauf stand die Todesstrafe. Zugleich nahm die Zahl der Kriegs- und Sondergerichte zu. Der berüchtigte Präsident des „Volksgerichtshofes“, Roland Freisler, bezeichnete die Sondergerichte denn auch als „Panzertruppe der Rechtspflege“.
Die NS-Justiz blieb bis auf einige Prozesse gegen führende Juristen praktisch ungeahndet. So wurden weder die Richter noch die Staatsanwälte des „Plünderungssondergerichtes“ Verden je zur Verantwortung gezogen, obwohl sie eine Reihe von Todesurteilen vollzogen hatten. Viele NS-Juristen kamen aus Personalnot sogar wieder in Amt und Würden. Im Bezirk des Oberlandesgerichtes Braunschweig zum Beispiel waren 1947 die Landesgerichtspräsidenten und -direktoren ausschließlich ehemalige NSDAP-Mitglieder.
Häufig bestätigten die späteren BRD-Gerichte sogar die Rechtsmäßigkeit der Todesurteile. Noch 1967 erklärte das Landgericht Braunschweig die „Volksschädlings-Verordnung“ für „bindendes Recht“. Und bestätigten die Hinrichtung der 19-jährigen Erna Wazinski 1944 in Wolfenbüttel wegen Plünderung. Erst 1991 wurde sie posthum vom Vorwurf des Diebstahls freigesprochen. Allerdings nahm das Gericht zur Frage der möglichen Rechtsbeugung überhaupt nicht Stellung.
Die Aufarbeitung der NS-Justiz durch die Justiz selber war lange überfällig. Die Ausstellung in Verden bietet jetzt eine Fülle von Material über Biografien von Tätern und Opfern. Abgerundet wird die Ausstellung mit vielen Vorträgen.
Thomas Gebel
Landgericht Verden, Öffnungszeiten: montags bis donnerstags 9 bis 15.30 Uhr, freitags von 9 bis 13 Uhr.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen