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„Ich mag Schnee“

Die Familie Barry ist eine normale schwarz-weiße Patchwork-Familie aus Kattenturm - mit normalen interkulturellen Problemen

Wenn die drei Kinder in der Theodor Billroth-Straße in ihrem Kinderzimmer zusammen sitzen, dann haben sie eine eigenwillige Sprachmischung zur Verständigung: Die zehnjährige Animata Barry spricht französisch, die beiden Kleinen antworten ihr auf Deutsch. Mit ihrem Vater spricht Animata „Pular“, eine in verschiedenen westafrikanischen Ländern verbreitete Stammessprache. Aminata, die vor zwei Wochen aus Guinea nach Bremen kam, versteht kaum ein Wort deutsch. Eine „Patchwork“-Familie sind die Barrys, aber keine normale deutsche, sondern eine deutsch-guinesisch „zusammengesetzte“ Familie.

Vater Jacques hatte vor einem Jahr aus Paris einen guten Freund in Hamburg besucht, der hat ihm von einer guten Disco in Bremen erzählt, „boulebantou“ am Dobben. Das war ein Treffpunkt der Afrikaner aus tropischen Ländern. „Da habe ich Linda kennen gelernt“, erzählt Jacques - eine Deutsche - und geheiratet. So normal und so einfach.

Anders als andere Ausländer durfte Jacques Barry sich eine Arbeit suchen, da er nicht als Asylbewerber ankam. „Ich habe eine Ausbildung als Förster“, sagt er, „aber hier gibt es wenig Arbeit in der Richtung.“ So suchte er sich Jobs in Bereichen, die gut bezahlt, aber weniger beliebt sind: Nachtschicht, Lager. Nach verschiedenen Stationen landete er beim Großmarkt an der Neuenlander Straße. Um 2 Uhr nachts beginnt da die Arbeit, morgens um 11 Uhr ist das Geschäft zu Ende für den Großmarkt. „Ist nicht schlecht, ich kann am Tag gut schlafen“, sagt er.

Aminata ist seine Tochter und in Guinea geboren. Bis vor drei Wochen hatte sie dort bei der Mutter in einer Großfamilie gelebt, ist in Guinea zur Schule gegangen, viertes Schuljahr. Anfang Februar kam sie in Bremen an, soll nun beim Vater leben. In Kattenturm wurde sie in die zweite Klasse eingestuft. Da sitzt sie nun und versteht in den meisten Unterrichtsstunden gar nichts. Hin und wieder versucht die Lehrerin, sie wenigstens gruppendynamisch einzubeziehen, und spielt: „Aminata lernt deutsch - alle anderen lernen französisch.“

In den streng muslimischen Dörfern seiner guinesischen Heimat sind selbst Fernseh-Geräte verpönt, aber Jacques Barry kommt aus einer Stadt. Bis 1958 herrschten dort die französischen Kolonialherren, die meisten Bewohner der Städte orientieren sich an europäischen Standards - bis hin zu den Namen, die man den Kindern gibt.

Heimweh? „Ich kenne genug schwarze Leute hier“, sagt Jacques Barry. Auch aus Guinea, aber natürlich auch aus anderen Ländern. Das ist nicht entscheidend - entscheidend ist die Hautfarbe. ,Die meisten Schwarzen - wir haben die gleiche Einstellung. Die deutsche Kultur ist auch ganz gut, aber „mehr zurückhaltend.“ Richtig gute Kontakte hat er zu weißen Deutschen nicht.

„Deutschland ist gut, weil ich jung bin“, sagt er. Aber in zehn Jahren will er vielleicht zurück. „Da habe ich keinen Ärger mit meiner Farbe“, sagt Jacques Barry. Er berichtet von dem alltäglichen Rassismus, der ihm wegen seiner Hautfarbe entgegenschlägt. „Die meisten Discos sagen: Du schwarz - kommst Du nicht rein.“ Zum Beispiel. Die Leute in Bremen sind „sehr offen“, aber dennoch. Zum Beispiel, wenn eine Polizeistreife einen Schwarzen im Auto sieht. „Die gucken, Kontrolle.“ Oder wenn er am Bahnhof vorbeigeht. „Ich weiß, manche verkaufen da Drogen. Aber sobald die sehen: Du bist schwarz - Kontrolle.“ Oder wenn man sich bewirbt. Man ruft an, wird gefragt, aus welchem Land man kommt - nichts da. „Ich habe mal meinen Schwager anrufen lassen, - er sollte vorbeikommen.“

Alltäglich wird Jacques Barry deutlich gemacht, dass das hier nicht seine neue Heimat werden kann. „Ist irgendwie normal“, versucht er, Verständnis für die Diskriminierungen aufzubringen, „aber ich finde das voll Scheiße.“ Das norddeutsche Klima wäre für ihn kein Grund, sich ins tropische Guinea zurückzusehen: „Ich mag Schnee.“ K.W.

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