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Milošević gibt den Friedensengel

Auch am zweiten Tag seiner Verteidigungsrede vor dem UNO-Tribunal erhebt der frühere jugoslawische Staatspräsident schwere Vorwürfe gegen die Nato. Mit Aussagen führender westlicher Politiker will er seine „friedlichen Absichten“ beweisen

von ROLAND HOFWILER

Den zweiten Tag seiner Verteidigungsrede vor dem UNO-Kriegsverbrechertribunal in Den Haag nutzte der ehemalige serbische und jugoslawische Präsident Slobodan Milošević erneut zu heftiger Kritik an der Nato. Wie schon am Vortag wiederholte der Angeklagte, erst durch das Eingreifen der Nato in den schwelenden Kosovo-Konflikt sei es 1999 zum Massenexodus der Albaner gekommen und zu „unvorstellbarem Leid“. Um seine These zu erhärten, zeigte Milošević im Gerichtssaal an die hundert Farbfotos von zerstörten Dörfern, beschädigten Krankenhäusern und verbrannten Leichen, die alle durch Bomben von Nato-Kampfjets getötet worden sein sollen.

„In einem Fall“, erzählte Milošević, „wurde unser Geheimdienst Zeuge eines Gesprächs zwischen einem Piloten und einer westlichen Kommandostation. Er hörte, wie der Pilot sagte: ‚Das Ziel sieht doch aus wie ein Flüchtlingstreck, soll ich dennoch feuern?‘ Da kam zur Antwort: ‚Das ist Befehl.‘“

Milošević verlas daraufhin eine lange Liste mit Namen, von Bauern, Handwerkern, Hausfrauen und Kinder, die alle durch Nato-Bomben ums Leben gekommen sein sollen. Die meisten der Toten waren Albaner. Über das Wüten serbischer Freischärlergruppen und die Vergeltungsaktionen der jugoslawischen Armee auf vermeintliche Stellungen der kosovo-albanischen Befreiungsbewegung UÇK verlor Milošević kein Wort.

Mit sehr ernster Mine trug er nach diesen Gräuelbeschreibungen durch Nato-Piloten sein Hauptanliegen vor. Bill Clinton, Helmut Kohl, Kofi Annan, Madeleine Albright und viele andere mehr könnten bezeugen, dass er sich stets für eine Befriedung auf dem Balkan eingesetzt habe und für ein Ende des Bürgerkriegs.

Er habe als jugoslawischer Präsident nie einseitig Partei ergriffen. Behauptungen der Anklage, ihm sei es um die Errichtung eines Großserbien gegangen, seien falsch. „Das können all die Politiker aus dem Westen bestätigen, mit denen ich zusammentraf“, rief Milošević den UNO-Richtern entgegen. „Wenn die ehrlich sind, müssen die aussagen, wie wir über einen Frieden verhandelt haben. Diese Herren haben mit mir verhandelt, und wir haben zusammen das Friedensabkommen von Dayton ausgearbeitet.“ Eine genaue Liste all jener, die er im Zeugenstand sehen wolle, müsse er noch fertigstellen, erklärte Milošević.

Milošević weiß genau, dass er mit seinem Anliegen kaum durchkommen wird, und er weiß auch, dass keiner der westlichen Altpolitiker zu seinen Gunsten aussagen wird. Doch eines ist ebenso klar: Das UNO-Tribunal muss glaubhafte Gründe vorbringen, warum es keinen der westlichen Politiker vorladen will oder kann.

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