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Der Diaprojektor als Waffe

Eine Aussprache zum Troja-Streit in Tübingen brachte kein Ergebnis – zum Schaden der Geisteswissenschaften

aus Tübingen RALPH BOLLMANN

Der Festsaal der Tübinger Universität erstrahlte im goldenen Licht eines schönen Februartags, doch die Stimmung auf dem Podium blieb frostig. Nicht weniger als 16 Gelehrte saßen aufgereiht unter der großen Orgel, und die beiden Hauptkontrahenten, der Althistoriker Frank Kolb und der Archäologe Manfred Korfmann, waren vorsichtshalber an den entgegengesetzten Enden des Tischs platziert.

Erstaunlich genug, dass es zum Showdown im großen Troja-Streit überhaupt gekommen ist. Schon seit dem vorigen Sommer tobt die Kontroverse, ob die Ausgrabungsstätte in der nordwestlichen Türkei einst eine „bedeutende Handelsstadt“ war, wie Korfmann glaubt, oder ein „unbedeutender Ort“, wie Kolb behauptet (siehe links). Bislang wurde der Streit nur über die Medien ausgetragen, denn zum öffentlichen Duell waren die Kontrahenten zunächst nicht bereit. Wochen-, ja monatelang feilschten beide Seiten um die Modalitäten des Schaufechtens, als ginge es um eine Friedenskonferenz für Palästina oder Nordirland.

Und tatsächlich: Wie in Jerusalem oder Belfast, so geht es auch hier um Glaubensfragen. Ob die Stadt Troja in der Zeit um 1200 vor Christus tatsächlich von mykenischen Griechen zerstört wurde, wie es Homer überliefert – das wird man wohl nie mit Sicherheit wissen. Zu dürftig ist die Quellenlage nach mehr als drei Jahrtausenden, als dass ein unumstößlicher Beweis möglich wäre. Es war der englische Experte John David Hawkins, der als einziger darauf hinwies: „Wir haben es mit Wahrscheinlichkeiten zu tun.“

Noch schwieriger wird die Lage durch die Vielfalt der Disziplinen, die an der Troja-Forschung beteiligt sind. Die Archäologen sind davon überzeugt, dass sie mit ihren naturwissenschaftlichen Methoden letzte Wahrheiten ermitteln. Die Althistoriker zweifeln an allem, was sich nicht durch schriftliche Quellen belegen lässt. Die Homerforscher sind in die Methoden der Literatur- und Sprachwissenschaft vernarrt. Die Altorientalisten wiederum sehen Troja aus der Perspektive des zentralanatolischen Hethiterreichs.

Die alte Geschichte, behauptet dann ein Archäologe wie Korfmanns Tübinger Kollege Hans-Peter Uerpmann, stehe „mit dem Rücken zu Wand“. Aus ihrem beschränkten Kanon griechischer und lateinischer Texte werde sie kaum noch Neues herauswringen können. Die Archäologie dagegen sei „im Besitz von Wahrheit – im Gegensatz zu denen, die sich mit alten Geschichten befassen“. Alles, was in Texten stehe, sei interessengeleitet. Aber in der Antike habe niemand einen Graben in den Fels gehauen, um spätere Archäologen hinters Licht zu führen.

Nicht weniger von sich selbst überzeugt gaben sich die Experten für die Geschichte des Hethiterreichs. Unfassbar fand es der Tübinger Hethitologe Frank Starke, dass sich „der klassische Philologe Hertel hier über hethitische Geografie auslässt“. Prompt projizierte Starke einen Brief in hethitischer Keilschrift an die Wand und schritt zum Examen: „Herr Hertel, Sie können uns ja mal zeigen, um welche Stelle in diesem Brief es geht.“ Worauf der arme Kollege zugeben musste, dass er des Hethitischen nicht mächtig sei.

Nicht immer war es die Sprachkeule, die bei der Vernichtung von Kollegen zum Einsatz kam. Die weitaus beliebteste Waffe war die Projektorfolie. Nicht wenige Gelehrte hatten sich die Mühe gemacht, angreifbare Stellen aus den Aufsätzen ihrer Gegner abzutippen, um sie an die Wand werfen und haarklein auseinander nehmen zu können. Wurde die Vortragszeit knapp, kamen die Folien im Sekundentakt zum Einsatz. Den Rekord stellte Ausgräber Manfred Korfmann auf. „Sie erkennen leicht die Bedeutung Trojas“, erklärte er, nachdem er in einer Minute nicht weniger als zwanzig Grafiken gezeigt hatte. „Nein, wir erkennen nichts“, rief ein Zuhörer – doch Korfmann war zu erregt, um den Einwurf auch nur wahrzunehmen.

Am Ende konnte ein Innsbrucker Althistoriker nur noch klagen, das wissenschaftliche Ethos sei „vor lauter Folien verloren gegangen“. Die kommunikativen Fähigkeiten der Professoren reichten oft nicht einmal aus, um die nötigen Anweisungen für die Diaprojektion zu erteilen. Überhaupt demonstrierte der zweitägige Troja-Kongress das Elend der Geisteswissenschaften in Deutschland. Verknöcherte Ordinarien mit Hornbrillen und schlecht sitzenden Anzügen dozierten stundenlang über ihre Spezialthemen und verloren den Bezug zum Troja-Problem oft genug aus den Augen. Höflich sprach Kolb von Vorträgen „mit zum Teil etwas esoterischem Charakter“. Sogar der Baseler Homerforscher Joachim Latacz, der sonst durchaus verständlich schreiben kann, entführte das Publikum in längst vergangene Forschungskontroversen. Da half es auch nichts, dass er mit einem Sokrates-Zitat um Geduld bat: „Werdet mir nicht unruhig, ihr Männer von Athen!“

Aber was soll man auch von Gelehrten erwarten, die ihr ganzes Leben als akademische Einzelkämpfer tätig waren? „Ich bin einer der wenigen, die etwas von den Dingen verstehen.“ Mit diesen Worten sprach ein Diskutant aus Marburg offen aus, was jeder einzelne der 13 Referenten dachte – in Bezug auf sich selbst, versteht sich. Da blieb der junge Ausgräber Peter Jablonka auf verlorenem Posten mit seinem Wunsch, die Kontrahenten sollten „mehr Schach spielen“ und sich „nicht nur die Figuren an den Kopf werfen“.

Denn in der Sache, so Jablonka, seien die gegnerischen Position gar nicht mehr so weit auseinander. In der Tat: Korfmann hat seine Pläne von der angeblich dicht bebauten trojanischen Unterstadt schon wieder revidiert. Die Einwohnerzahl, die er zuletzt auf fünf- bis zehntausend geschätzt hatte, ist für ihn jetzt wieder „Verhandlungsmasse“. Zu einer Einigung kam es dennoch nicht. „Ich glaube, wir leben in zwei Welten“, sagte Korfmann am Schluss.

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