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Fürs gehobene Management

Mit der Perfektion und dem Aufwand einer Hollywoodproduktion: Bill Violas Video „Going Forth By Day“ im Deutschen Guggenheim Berlin

von OLIVER KÖRNER VON GUSTORF

„Wir wollen uns in Stein und Pflanze übersetzt haben, wir wollen in uns spazieren gehen, wenn wir in diesen Hallen und Gärten wandeln.“ So entwarf Friedrich Nietzsche in seiner „Fröhlichen Wissenschaft“ 1882 die architektonische Vision von weltlichen Orten des Nachdenkens. Die Zeiten seien vorbei, so vermerkt er, in denen die Kirche hier das Monopol besaß, und er befindet, ihre Gebäude redeten „als Häuser Gottes und Prunkstätten eines überweltlichen Verkehrs“ eine viel zu pathetische und befangene Sprache, „als dass wir Gottlosen hier unsere Gedanken denken könnten“.

Das Deutsche Guggenheim Berlin ist allemal ein Haus des weltlichen Verkehrs – ein Jointventure zwischen Geldinstitut und Museum, das unweit vom Brandenburger Tor, in der Niederlassung der Deutschen Bank jährlich drei bis vier hochkarätige Ausstellungen präsentiert, von denen je eine als Auftragsarbeit an einen Künstler vergeben wird. Nach Rachel Witheread wurde nun Bill Viola, einer der bekanntesten Pioniere der Medienkunst, mit der Erstellung eines Werkes beauftragt, das Zeichen setzen soll. Tatsächlich gleicht die Ausformung seiner Videoinstallation „Going Forth By Day“ einem erhabenen Raum postmodernen Nachdenkens, einer Mischung aus Kapelle, Laterna magica und spirituellem Themenpark, geschaffen nicht aus Stein und Pflanze, sondern aus Pixeln und Licht.

Mit der Perfektion und dem Aufwand einer Hollywoodproduktion erzählt Violas Zyklus auf fünf synchron im Dunkel der Kunsthalle ablaufenden Einzelprojektionen die Heilsgeschichte einer von Vernetzung und digitaler Revolution geprägten Epoche, deren technologisches Voranschreiten zur Versprechung einer spirituellen Auferstehung führt. „In diesem Zeitalter sind Technologie und ihre Tools entscheidend, sie bestimmen, in welche Richtung die elementare Suche der Menschheit nach Einheit geht. Früher waren es die Religion oder die Philosophie und die Metaphysik“, äußerte Viola in einem Interview zu seiner Arbeit.

Fortschritt als Offenbarung: Aus der düster-rötlich schimmernden Projektion, die den Eingang der Kunsthalle überlagert, lösen sich die Umrisse eines im Wasser schwebenden männlichen Körpers, „Abglanz einer früheren, im Feuer untergegangenen Welt“, die auf das verweist, was da kommen wird: ein Exodus der Menschheit, eine unendliche Prozession aller sozialen Schichten, die sich durch einen Wald über die Breite der Wand zieht, ständig im Morgenlicht vorwärts strebend, hin zu einem unbekannten Ziel. Wie ein animiertes Tarotdeck spannen sich digitale Fresken über die Wände, eine Abfolge gleichzeitiger Bilder und Geräusche: Während eine Sintflut aus einem Stadthaus hervorbricht und die bevölkerte Straße leer schwemmt, wird im nächsten Bild ein Boot mit den Habseligkeiten eines Sterbenden beladen. Sein Haus wird verschlossen, in Begleitung seiner Frau beginnt der Verstorbene die Überfahrt zur Insel der Seligen. Das Finale findet der Zyklus mit einer leibhaftigen Himmelfahrt. Ein Unglück hat sich in einer kargen Felslandschaft ereignet: Derweil Rettungsarbeiter von den Strapazen eines Nachteinsatzes erschöpft eingeschlafen sind, steigt der weiß gekleidete Leichnam eines Jünglings aus dem Wasser zu ihren Füßen, schwebt empor und löst sich in herabfallendem Regen auf.

„Bill Viola hat ein Fresko für das 21. Jahrhundert geschaffen, einen ästhetischen Text, der uns – wie die Meisterleistungen der Renaissance – eine neue Weltsicht vermittelt“, glaubt Thomas Krens, Direktor der Guggenheim Foundation in der zur Ausstellung herausgegebenen Publikation. Er spielt damit auf die Affinität des Künstlers zu den Arena-Fresken in der Scrovegni-Kapelle in Padua an, die Viola als „eine der größten Installationen der Welt“ bezeichnet hat, als „riesiges dreidimensionales Bild, das man betreten kann“. Giottos Bilderzyklus wurde um 1305 geschaffen und charakterisierte einen Neubeginn der christlichen Ereignisdarstellung. Und fast scheint es, als wolle Viola, den spätestens seine 1999 auch in Frankfurt am Main gezeigte Retrospektive als esoterischen Monumentalkünstler auswies, diesen Schritt nachvollziehen – in einem kostspieligen Gewaltakt aufwändiger High-Definition-Videotechnologie, mit der er das Untergeschoss der Bank in eine geweihte Stätte verwandelt.

Für Giottos Fresken war die Bindung an die christliche Heilsgeschichte konstitutiv. Würde man Violas Videoprojektionen ebenfalls als heilsgeschichtliche Ereignisbilder betrachten, glichen die zugrunde liegenden Evangelien wohl eher jenen aus esoterischem Wissen und Führungsstrategie zusammengepanschten New-Age-Lektionen, die in Workshops und Seminaren für das gehobene Management gepredigt werden. „Leiden wird nicht durch das Zurücklassen des Schmerzes überwunden. Leiden wird überwunden, indem der Schmerz um der anderen willen erduldet wird.“ Dieser Ausspruch des Dalai Lama findet sich neben Zitaten von Sufi-Lehrern und christlichen Mystikern in Violas Aufzeichnungen zum Projekt. Es deutet an, was der Künstler und seine Geldgeber unter einer „humanistischen Vision“ verstehen: das Sinnbild eines globalen Netzwerkes, das keine kulturelle oder soziale Divergenz mehr kennt, kein Ich oder Du, sondern nur noch die Gemeinschaft einer durch Technologie vereinten Menschheit.

Die Angst vor Vernichtung, der Schauder über die eigene Winzigkeit und Endlichkeit werden in Violas Kunstwerk zum erhabenen Effekt umgewendet – in eine triumphale Steigerungsgeste des kollektiven Ichs, das sich in einem ständig voranschreitenden Prozess immer wieder selbst erneuert. Der Weg zur Unsterblichkeit ist unvermeidlich mit individuellen Opfern gepflastert, und so spielen sich in dieser Parallelwelt Zivilisationsdesaster und der Zusammenbruch sozialer Systeme mit der Wucht von Naturereignissen ab. Dabei haftet den Katastrophen stets der Charakter einer Reinigung an – das Wasser läuft ab, die Sonne erstrahlt, aus altem Leben wird neues geboren. Violas Storyboard für die Zukunft lässt vermuten, der Ursprung dieses Waschzwangs sei durch und durch amerikanisch.

Inmitten einer mythologischen Landschaft, zwischen den Hinterlassenschaften europäischer Kunstgeschichte und Plastikgeröll, vollzieht sich die Renaissance der geheiligten amerikanischen Familie, die ihre Väter betrauert und auf die Heimkehr ihrer verlorenen Söhne wartet. Ein dumpfer patriarchaler Zug ist dabei unübersehbar. Auch wenn „Going Forth By Day“ vor dem 11. September konzipiert wurde, erscheint die Installation gerade angesichts des selbst erklärten Kriegszustandes der USA als durchweg patriotisches Meisterwerk. Violas Heroen, denen es vergönnt ist, das Licht des neuen Tages zu erblicken, sind eine Mutter und eine Gruppe von uniformierten Feuerwehrleuten. Übertroffen wird das Pathos nur noch vom Machtanspruch, der in der Umsetzung der digitalen Fresken steckt.

Allein die Realisierung des Kunstwerkes, an der ein Stab von 150 technischen Mitarbeitern und unzähligen Komparsen in kalifornischen Filmstudios beteiligt waren, setzt neue Maßstäbe für das Zusammenwirken von Kunst und Wirtschaft. Indem es an die Grenzen technischer Brillanz und logistischer Perfektion stößt, begnügt sich „Going Forth By Day“ nicht mehr mit der Darstellung eines Heilsgeschehens. Als Manifestation postreligiöser Erlebnisarchitektur ähnelt es einer narzisstischen Matrix, die zugleich Abbild und selbst das Ereignis ist.

Bis 5. Mai, Deutsche Guggenheim Berlin, Katalog 33 €, Künstlerbuch 25 €

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