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zwischen den rillenNeue Stimmen, alte Denkmuster: deutscher HipHop von Chima und Die Firma

Kein Ende in Sicht

Ist doch wahr: Rap ist Volksmusik geworden. Nur das Volk sieht anders, bunter aus als früher. Der Fakt als solcher mag altbekannt sein, das breite Bewusstsein dafür ist neu. Und im Gegensatz zu den Quotenschwarzen der TV-Sender haben HipHop-Projekte wie Brothers Keepers/Sisters Keepers den farbigen Deutschen eine Stimme gegeben, die ihre Position in dieser Gesellschaft einfordert.

Bei Brothers Keepers war die Stimme von Chima Onyele, Frankfurter mit nigerianischen Eltern, eine unter vielen kämpferischen. Dabei waren seine Beiträge bereits auffällig differenziert und präsentierten einen Rapper, der sich eher über die eigenen Fähigkeiten, Gedanken und Ziele definiert als – wie im HipHop sonst üblich – in Abgrenzung zu anderen.

Auf „Reine Glaubenssache“ ist der erste Satz dieser Stimme, denn: „Ich glaube an mich.“ Es geht nicht um Ideologien, sondern um Worte und ihre kunstvolle Anhäufung, weniger um HipHop als Lebenseinstellung als um eine Persönlichkeit und was die zu sagen hat.

So reimt Chima „Reflektion“ auf „Generation“ und „funktionieren“ auf „rekonstruieren“, freut sich an seinen verkopften Wortkaskaden und findet doch immer wieder den Weg zu einfachen klaren Sätzen und vermittelbaren Gefühlen. Zu Recht diagnostiziert der 28-Jährige bei seinen mitunter milchbärtigen Konkurrenten „infantile Poesie“ und verzichtet selbst auf die Anhäufung kindlicher Amerikanismen wie „flashen“ oder „whack“.

Chima gelingt es, große Politik und kleinen Alltag, kitschige Liebe und harsche Realität miteinander zu verschränken, ohne in Peinsamkeit zu ersaufen. In „Ihr habt mir wehgetan“ beschreibt er sein vergangenes und gegenwärtiges Leben in einer rassistischen Gesellschaft, ohne sich in tränendrüsiger Betroffenheit oder plakativen Slogans zu verlieren. Sollte manche Zeile dann doch einmal bedrohlich schwer wiegen, rettet ihn sein Stimme, die wie kaum sonst die deutsche Sprache zum Fließen bringt. So wird Chima selbst in „Du trägst mich“, seiner Hymne auf Mama, nicht zum Heintje. So souverän, so soulig war deutscher Rap noch nie.

In den alten Denkmustern verfangen präsentiert sich dagegen Die Firma auf „Das dritte Auge“. Mit Album Nummer drei sind sie Veteranen im bundesdeutschen HipHop. Kommerziell überdurchschnittlich erfolgreich wurde das Trio aus Köln mit einem Themenkatalog, der sich nicht auf die eigene Selbstbeweihräucherung beschränkte, vor allem aber mit düsteren Samples und bedrohlich tiefen Raps, die sich auch auf dem neuen Werk zu einem humorlosen und bleischweren Gothic-HipHop verdichten.

Sie verstehen keinen Spaß, aber sie wissen, warum: Mit „Kein Ende in Sicht“ findet sich sogar ein Song zur aktuellen Weltlage nach dem 11.September. „Jetzt wisst ihr, warum unsere Alben immer so düster waren“, heißt es dort und anschließend wird ein wenig naiv die Toleranz zwischen den Weltreligionen beschworen. Wenn nur alle beim Türken einkaufen, wird die Welt sich schon wieder einrenken. Ansonsten: „Ich gebe zwei Fickfinger jedem, der nur irgendwo so ist wie Hitler.“

Dabei sind es weniger die stets auf ihre dunkle Wirkung bedachten Stimmen der beiden Rapper Tatwaffe und Def Benski, die ihre Raps so steif wirken lässt, sondern eher die vollkommen von sich eingenommene Attitüde. Als Philosophie verkauft wird ein nur leidlich komplexes, vor allem aber postpubertäres Jungskonglomerat aus Verschwörungstheorien, Horror- und Mafiafilmklischees und immer wieder Machogesten: Frauen „tragen Push-ups“, werden „ausgecheckt“, sind „hübsch verpackt“ auch „gut fürs Selbstbewusstsein“ und dienen vornehmlich dazu, die Innenausstattung des Automobils zu „bereichern“.

Die Firma war zwar nie Teil einer etablierten Szene, wie man sie aus Hamburg oder Stuttgart kennt, und stand stets kaum für mehr als für sich selbst. Aber in ihrem Beharren aufs altmodische Eierschaukeln repräsentieren die Kölner dann doch jene zweite Generation des deutschen HipHop, die im letzten Herbst Schiffbruch erlitt, als die allseits erwartete Übernahme der Verkaufscharts ausblieb.

THOMAS WINKLER

Chima: „Reine Glaubenssache“ (Dritte Welt Entwicklungen/EMI); Die Firma: „Das dritte Auge“ (V 2)

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