: Wirtschaftsbericht
Rot-Grün bleibt bei der „ruhigen Hand“. Die Opposition verlangt neue Konzepte – und hat selbst keine
BERLIN taz ■ Manchmal klingen selbst simple Fakten lächerlich: „Wir stehen vor einem neuen Aufschwung“, begann Bundesfinanzminister Hans Eichel (SPD) gestern im Bundestag die Debatte zum Jahreswirtschaftsbericht. Und erntete ein Raunen.
Zwar deckt sich seine Ankündigung mit den Prognosen aller Wirtschaftsexperten für 2003. Doch noch steckt Deutschland eben in einer Rezession. Bloß um 0,6 Prozent wuchs die Wirtschaft im Vorjahr – und auch dieses Jahr rechnen die Experten mit kaum mehr. Im frisch vorgelegten Jahreswirtschaftsbericht hatte Eichel seine Prognose für dieses Jahr gerade erst von 1,25 auf 0,75 Prozent verringern müssen.
Und genau das ist das Kernziel der Opposition im Wahlkampf: Sie versucht der Regierung die rote Laterne anzuhängen – und verlangt schnelle Reformen bei Steuern und Arbeitsmarkt. „Sie haben Deutschland in nur dreieinhalb Jahren so herabgewirtschaftet“, tönte Oppositionsführer Friedrich Merz (CDU) gestern, „dass es überall Schlusslicht ist.“ Und FDP-Fraktionsvize Rainer Brüderle (FDP) sekundierte, „Grün-Rot hat unser Land in die Rezession geführt“.
So eifrig ging die Opposition dabei zu Werke, dass Bäckermeister und CSU-Hinterbänkler Ernst Hinsken versuchte, dem Kanzler eine eigens in Jutetaschen ins Parlament geschmuggelte rote Eisenbahnerlaterne zu überreichen. Obwohl Parlamentspräsident Wolfgang Thierse ihm das verbot, musste ihn erst Innenminister Otto Schily mit deutlichen Worten und wilden Gesten von der Regierungsbank vertreiben.
Und während die Opposition ein negatives Bild zeichnete, gab sich die Regierung optimistisch, warf der Opposition vor, keine Konzepte zu haben, und verwies auf die Vergangenheit: Die meisten Fundamentaldaten seien zuletzt unter dem Kabinett Kohl schlechter gewesen. So habe das durchschnittliche Wirtschaftswachstum seit der Wiedervereinigung bis zur Abwahl Kohls nur 1,3 Prozent betragen, unter Rot-Grün aber 1,6 Prozent, erklärte Wirtschaftsminister Werner Müller. Zudem sei das Wachstum heute besser, weil es „dopingfrei“ sei – denn seine Regierung habe Subventionen abgebaut.
Inzwischen, so führte Eichel aus, sei „die Beschäftigung besser, die Haushaltlage besser“ und die Familien hätten „mehr im Portemonnaie“. Eichel verwies auf die Prognosen von EU und OECD, die für 2003 mit einem Wachstum. Merz dagegen erwiderte, wenn es Wachstumsimpulse gegeben hätte, dann aus den unionsregierten Bundesländern wie Hessen oder Bayern.
MATTHIAS URBACH
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