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Shiva Keshavans Gespür für Schnee

Die Winterspiele finden in den indischen Medien kaum statt. Dabei ist Indiens Vertreter qualifiziert: Er kennt Schnee

Shiva Keshavan ist Indiens Ein-Mann-Team in Salt Lake City. Der Vertreter einer Milliarde Menschen. Die Medien in seiner Heimat müssten sich auf den Mann stürzen, der bei der Eröffnungsfeier die Fahne trug. Denkt man.

Die Wirklichkeit sieht anders aus. Salt Lake City ist von Neu-Delhi 12.233 Kilometer und 12,30 Stunden Zeitverschiebung entfernt. Die Tageszeitungen diskutieren das Logo für die geplante U-Bahn in Delhi und die Sicherheitsvorkehrungen für die Parlamentsdebatte am Montag. Olympia ist – wenn überhaupt – nur auf den hinteren Seiten des Sportteils ein Thema, nach Cricket, Football, Leichtathletik, Tennis, Hockey und Pferderennen. Im Gegensatz zu bayerischen Regionalblättern haben selbst große Tageszeitungen wie die Times of India oder The Statesman keine eigenen Reporter in Salt Lake City, sondern verlassen sich auf die internationalen Pressagenturen.

Bobilli Vijay Kumar war trotzdem dort. Der Sportredakteur der Times of India wurde von Coca-Cola eingeladen, um sich die Abfahrt der Herren anzusehen. Schreiben konnte er jedoch nur über kalte Füße und das Gefühl, ganz nahe dran gewesen zu sein – er hatte keine Akkreditierung.

„Nur eine kleine Minderheit interessiert sich hier für Wintersport“, sagt Nilova Roy Chaudhury, Redakteurin für besondere Aufgaben bei The Statesman in Delhi. „Deswegen berichten wir wenig. Aber wenn ein Bild sehr hübsch ist, kommt es schon mal auf die Titelseite.“ Das indische Fernsehen zeigt nur die Highlights als Zusammenfassung. Westliche Sender wie BBC oder CNN können nur von einer verkabelten Minderheit gesehen werden.

„Die Inder verstehen die Winterspiele nicht“, sagt Vijay und man hört, dass er sich wünscht, es wäre anders. „Ohne Stars wird ein Sport hier nicht berühmt. Und wir haben keine Stars, wir haben nur Shiva Keshavan, den niemand kennt.“ Shiva Keshavan hat es deshalb bei den Medien schwer. „In Indien muss ich immer noch jedem erklären, was Rodeln ist“, berichtet Shiva, der seinen Schlitten zu Interviews mitnimmt.

Für den Sport wurde er entdeckt, als die International Luge Federation 1997 Sportler aus tropischen Ländern rekrutierte. Dabei stellte sich heraus, dass es in Indien schon einen Rodelverband gab – ohne ein einziges Mitglied. Der Junge aus einem Dorf am Fuß des Himalaja war für die Auswahl top qualifiziert: Er kannte Schnee. Seinen ersten Rodelversuch absolvierte er dennoch ohne Eis. Rollen an den Schlitten – und ab ging’s, die Teerstraße hinunter. „Das war schnell“, erzählt Shiva, „aber ich konnte kaum glauben, wie viel schneller es auf dem Eis geht.“

Für die Winterspiele hat er mit dem italienischen Team trainiert. Den Kollegen verdankt er auch sein Rennobjekt, ein ausgemustertes Modell, das er selbst reparierte, als er bei der Abfahrt an der Wand entlangschrammte. „Sein Schlitten ist kein Design, er ist die pure Verzweiflung“, lästert Sun-Sentinel, eine Zeitung aus Südflorida und schiebt gleich noch nach: „Warum hat Indien einen Vertreter bei den Winterspielen? Einen mehr als Pakistan!“

Doch Shiva ist die Politik egal: In Salt Lake City rodelte er auf Platz 33 von 48. Unter den Asiaten belegte er damit den zweiten Platz, hinter dem Japaner Shigeaki Ushijima (27.) und vor seinen Konkurrenten aus Südkorea und Taiwan. TANJA GABLER

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