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Haargenau inszenierte Risse

Das B-Movie zeigt im März eine David Lynch-Retrospektive  ■ Von Stefanie Maeck

Ein Ehepaar kehrt nachts heim in ein düsteres Appartement. Ein schmaler Flur, ein Schlafzimmer mit einem Bett, ein Telefon, das gerade eben noch klingelte. Alles ist in stumme Dunkelheit gehüllt. Sie geht ins Badezimmer, entfernt ihre Wimperntusche. Getrunken wurde viel auf der Party. Dann der seltsame Bursche mit dem weißen Gesicht. Aus dem Spiegel schaut eine attraktive Dunkelhaarige im seidigen Kleid. Zart sieht sie aus, als sie langsam über ihre Augen fährt. Er hat ein markantes Gesicht, verschwindet wortlos in der Dunkelheit des Korridors. Später hört man fragende, dann panische Rufe: „Fred? Fred!“ Doch da ist nur der Flur, der alles verschluckt und der konstante Klangteppich, der den Zuschauenden erschreckt und desorientiert.

Als der Morgen dämmert, zeigt ein großpixeliges Videobild verwackelte Schritte durch den Flur, eine Frauenleiche liegt auf dem Bett. Und tatsächlich: Die Laken sind voll Blut. Ein Cop schlägt dem Mann ins Gesicht, „Mörder!“ Und ab geht es ins Gefängnis, wo der Mann so starke Kopfschmerzen bekommt, dass er sich effektvoll in eine ganz andere Person verwandelt. In diesem neuen Leben trifft er die Frau wieder. Sie ist noch eleganter, nur sind die Haare jetzt platinblond. Macht nichts. Wer hat nicht ausgiebig über das Verständnis dieser bildgewordenen Psychose im Halbdunkel, über David Lynchs vorletzten Film, Lost Highway, gerätselt?

Versuche, die Filme von Lynch zu erklären, enden oft kläglich oder im Streit, sind diese doch mit ihrer Aufhebung von Raum- und Zeitgrenzen fast schon eine Aufgabe für Logiker. Aber ihre Hermetik macht auch ihre Faszination aus. In Träumen und Visionen enthüllt sich immer erst die eigentliche Identität der Lynch'schen Figuren. Dass die Ebenen von Realität, Imagination und Traum im Lauf der Erzählung stets kräftig verschoben werden, dient auch dem Vorstoß zu einem Wesenskern dieser Welt. Und der ist bei Lynch bekanntermaßen nicht sehr heimelig.

Dieser Durchbruch zu einem Sein jenseits von geweißtem Gartenzaun, Plastikschwimmbecken und sattgrünem Kunstrasen, in dem das Bedrohliche plötzlich als leuchtender Kontrast in den Blick gerät, prägt fast alle seine Arbeiten. Nie haben die Vögel so lieblich wie zu Beginn von Twin Peaks gezwitschert, nirgends war die Gartenidylle so heil wie in Blue Velvet. Doch unter der Oberfläche schlagen sich die Mistkäfer schon die Köpfe ein. Lynch ist ein Regisseur, der sich geschickt an dieser Grenze von Werk und Wahnsinn, von Vernunft und ihrem Konterpart, bewegt. Einer, der den Riss, vor dem wir uns fürchten, haargenau inszeniert.

Hier greift auch das wirkungsvolle Spiel mit der Perspektive des Zuschauers. Es ist irritierend und bedrohlich, von den Augen eines Psychotikers fehlgeleitet zu werden. Ein Spiel mit regressiven Tendenzen, dem Schock und den Reizschranken des Betrachters findet statt. Das Spezifische an Lynch ist jedoch, dass er mittlerweile die Grenzen von Unbewusstem und Markt, von wirkungsvoller Bildsprache und kommerziellem Kassenschlager an ihrem sensiblen Schnittpunkt getroffen hat. So wird das Effekthascherische an Psychose und schizoider Störung einem Massenpublikum zum genüsslichem Grusel feilgeboten. Viel spektakuläres Getöse, das die simple Traumdeutung bei weitem übersteigt. Der Staub der Jahrhundertwende ist von der Analysecouch geklopft. Das ganze Gebräu ist einmal durch die Hexenküche der Dramaturgiekunst gegangen und hat mit skurrilen Nachtschattenfiguren ein modisches Update erhalten.

Da zeigt das B-Movie in seiner Retrospektive lieber auch frühe Arbeiten, anhand derer man einen anderen Regisseur kennenlernen und eine Entwicklung verfolgen kann. Interessant sind hier vor allem Filme, die von einer Rezeption des deutschen Expressionismus zeugen, wie der Elefantenmensch, in dem das Cabinet des Dr. Caligari und andere filmhistorische Strömungen wiederzufinden sind. Ähnlichkeiten zwischen Lynch und Kafka offenbaren sich. Auch bestaunt man David Lynch als einen Regisseur, der sich teils noch in Genrebahnen und deren narrativen Mustern bewegen muss, wie in Dune – Der Wüstenplanet: Dort, wo der Riss in der Wirklichkeit konstitutiv ist, nämlich im Sci-fi-Genre, wirkt Lynch am konventionellsten.

Eraserhead lässt die Nähe zur gestaltenden Kunst und zum Surrealismus unmittelbar spüren. Legendär ist der pulsende und mit Schleim bedeckte Fötus, über dessen Herkunft Lynch hartnäckig schweigt. Man munkelt, er sei eher organischer denn mechanischer Herkunft. Wo wir das Morbide streifen: Blue Velvet, in dem ein Ohr in eine idyllische Gartenszenerie mit supergrünem Rasen einbricht und Twin Peaks – Der Film runden das Programm im B-Movie im schaurig-schönen Monat März ab. Man darf sich freuen, gerne gruseln.

3 Kurzfilme von Lynch: Do, 20.30 Uhr; Eraserhead : Sa, 20.30 + 23 Uhr, So, 20.30 Uhr; Der Elefantenmensch : Do, 7.3., 20.30 Uhr, Sa, 9.3., 20.30 + 23 Uhr, So, 10.3., 20.30 Uhr; Dune – Der Wüstenplanet : So, 10.3., 15 Uhr; B-Movie, die Reihe wird fortgesetzt

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