DOKUMENTATION: „Nach unserem Gewissen“
Unsere Zustimmung zum Gesetzentwurf der Koalition zur Zuwanderung beruht auf folgenden Gründen:
1. Wir entscheiden über das vorliegende Zuwanderungsgesetz nach unserer Grundüberzeugung und nach unserem Gewissen. Die Frage, welches Schicksal Kinder und Erwachsene erleiden, wenn sie als Flüchtlinge in Deutschland Schutz suchen, ist für uns ethisch von genauso großer Bedeutung wie etwa die Frage des Embryonenschutzes.
2. Der Gesetzentwurf der Koalition ist nicht ohne Fehler und Schwächen, er ist aber eindeutig besser als das geltende Recht. Wenn das Gesetz nun scheitert, wird der jetzige, unbefriedigende Zustand verlängert. Dies ist für die betroffenen Menschen nicht zumutbar. Dann wird weitergehen, was die Union zu Recht kritisiert, nämlich die ungeregelte Zuwanderung in die Sozialsysteme. Die Integration wird weiterhin keine gesetzliche Regelung haben. Auch der Status der Flüchtlinge wird im Neben- und Durcheinander des geltenden Ausländerrechtes nicht verbessert. Deshalb brauchen wir eine Reform, auch wenn sie nicht perfekt ist. Wir können nicht akzeptieren, dass in der drittgrößten Industrie- und Handelsnation der Welt die überfällige Reform des Ausländer- und Zuwanderungsrechts wegen einiger weniger Meinungsverschiedenheiten scheitern soll.
Deutschland braucht Zuwanderung auch unter volkswirtschaftlichen Aspekten. Das Argument, dass eine weitere Zuwanderung angesichts der hohen Arbeitslosenzahl nicht notwendig sei, hält einer differenzierten Betrachtung nicht stand.
3. Der Gesetzentwurf bringt entscheidende und überfällige humanitäre Verbesserungen für die Flüchtlinge z. B.: Die aufenthaltsrechtliche Stellung von Konventionsflüchtlingen („kleines Asyl“) wird durch die Abschaffung der Duldung und durch die Angleichung an den Status von Asylberechtigten entscheidend verbessert. Beide Flüchtlingsgruppen erhalten eine befristete Aufenthaltserlaubnis, die nach drei Jahren bei unveränderter Verfolgungssituation in ein Daueraufenthaltsrecht verwandelt wird. Damit wird den Betroffenen ein menschenwürdiges Leben in Deutschland ermöglicht.
Opfer von nichtstaatlicher und geschlechtsspezifischer Verfolgung erhalten einen verbesserten Schutz gemäß der Genfer Flüchtlingskonvention: Dies ist im Einklang mit der Rechtspraxis, die in fast allen europäischen Ländern üblich ist.
Die Einführung einer Härtefallregelung erlaubt es in besonders gelagerten Härtefällen, Menschen, denen bisher kein Aufenthaltstitel erteilt werden konnte, aus dringenden humanitären oder persönlichen Gründen die weitere Anwesenheit im Bundesgebiet zu ermöglichen.
Schutzbedürftige erhalten mit der Aufenthaltserlaubnis, im Gegensatz zur bisherigen Duldung, einen rechtmäßigen Aufenthaltsstatus.
Die erleichterte Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis in humanitären Fällen ermöglicht einen – wenn auch eingeschränkten – Familiennachzug.
Diese und andere Verbesserungen gestalten das Ausländerrecht einfacher und gleichzeitig humaner.
Da wir uns seit Jahren für diese positiven Veränderungen des Ausländerrechts eingesetzt haben, würde es unseren Pflichten als Abgeordnete entsprechend Artikel 38 des Grundgesetzes widersprechen, diese im Gesetzentwurf vorgesehenen Verbesserungen abzulehnen.
4. Mit unserer Entscheidung wissen wir uns in Übereinstimmung mit den ethischen Grundsätzen unserer Partei, wie sie im Grundsatzprogramm der CDU auf der Grundlage des christlichen Menschenbildes niedergelegt worden sind. Unsere Entscheidung soll auch als Signal dafür verstanden werden, im weiteren Gesetzgebungsverfahren doch noch zu einer Einigung zwischen den politischen Parteien zu kommen.
PROF. DR. RITA SÜSSMUTH
DR. HEINER GEISSLER
DR. CHRISTIAN SCHWARZ-SCHILLING
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