piwik no script img

DIE BESCHLOSSENE PREISREFORM IST GUT FÜR DAS GESUNDHEITSWESENBuchhaltung am Krankenbett

Künftig weht der kalte Wind der Betriebswirtschaft durch die Flure deutscher Kliniken. Mit der Übernahme der in den USA praktizierten „Managed-Care-Medizin“ sitzt die Klinikbuchhaltung mit am Krankenbett. Fest gefügte Behandlungsstandards für einzelne Krankheitsverläufe verändern das ärztliche Handeln in Richtung auf einen betrieblichen „Fertigungsprozess“. Gesundheitliche Hilfen werden zum Massenprodukt. Konsequenterweise wird deshalb auch die Krankenhausfinanzierung auf feste Fallpauschalen umgestellt. Dahinter steht das Kalkül: Wer zum festgelegten Durchschnittspreis keine standardisierte Behandlung etwa von Blinddarmoperationen erbringen kann, muss rationalisieren oder die Klinik schließen.

Dies muss nicht in einer humanen Prinzipien zuwiderlaufenden „Ökonomisierung des Gesundheitswesens“ enden. Die Managed-Care-Medizin bietet auch Chancen für das Gesundheitswesen. Weil heute Prävention und Rehabilitation sträflich vernachlässigt werden, hapert es nämlich vielfach an der Versorgungsqualität: Obwohl von allen OECD-Ländern nur die Schweiz und die USA noch höhere Pro-Kopf-Gesundheitsausgaben haben, nimmt Deutschland im „World Health Report 2000“ der Weltgesundheitsorganisation hinsichtlich des Zuwachses an Lebenserwartung unter den Industrieländern nur eine Mittelstellung ein.

Angesichts der Einnahmeprobleme der Krankenkassen bedeutet eine Managed-Care-Medizin überdies den einzigen Ausweg, die Zerschlagung des solidarischen Gesundheitswesens durch die Aufteilung in eine Basisversorgung und in privat finanzierte Zusatzleistungen zu verhindern. Gleichwohl bestehen zwei Gefahren: Erstens fördert eine standardisierte Medizin ein fachliches Denken, das sich noch stärker am „Maschinenmodell“ des Menschen orientiert. Gesundheit erscheint vollends als eine technische Reparaturleistung. Und zweitens kann auch die Managed-Care-Medizin als Einfallstor einer „Zweiklassenmedizin“ dienen, wenn medizinische Massenprodukte als ausreichende Grundversorgung begriffen und zusätzliche individuelle Hilfen von der Zahlungskraft des Einzelnen abhängig werden. Mehrfach Erkrankte, Drogenabhängige, hochbetagte und verarmte Patientengruppen würden dann gezielt benachteiligt. Diesen Gefahren kann letztlich nur begegnet werden, wenn Art und Umfang medizinischer Behandlungen nicht länger allein von Lobbyinteressen bestimmt werden. Ziele und Leitbilder im Gesundheitswesen müssen endlich als Bestandteil öffentlicher und parlamentarischer Auseinandersetzung begriffen werden. HARRY KUNZ

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen