: Gestochen unscharfe Polaroids
■ Mit „Fragile“ bescheren K. Kvarnström & Co. dem diesjährigen Bremer Tanzfestival bisher nur einen eher durchwachsenen Auftakt
Mein Gott, sind die knuffig! So richtig zum Liebhaben. Immer wieder treten die drei Tänzerinnen und zwei Tänzer an den Bühnenrand und sehen ins Publikum. Ja, fast könnte man sagen, sie flirten mit den Anwesenden – einzeln oder alle gemeinsam. Sie sind jung. Und sie würden in so mancher Szene-Kneipe des Erdenrunds gewiss eine gute Figur machen.
Die Hauptunterschiede zwischen Bar und Bühne scheinen aber darin zu bestehen, dass die fünf da oben Wasser trinken und keine Cocktails. Auch wirkten die Köpfe der Betrachtenden anderswo kaum so festgeschraubt angesichts dieser Musik. Da kriegt man eine gute Stunde nahezu ohne Unterlass Beats um die Ohren geballert – von straight bis flauschig, von gebrochen bis polyrhythmisch – und die Leute verschränken die Arme vor der Brust oder legen den Kopf handgestützt etwas schief.
Kaum verständlich, dass ein Kollege anlässlich der Uraufführung von Kvarnströms „Fragile“ im vergangenen Herbst eine Qualität der Company ausgerechnet darin auszumachen vermeinte, dass sie in der Lage sei, einen Tanzabend auch zu einem „Popevent“ zu machen. Sei's drum. Was bekommen wir in „Fragile“ zu sehen? Zunächst einmal einen schönen leeren Raum. Schön, weil er ziemlich leer ist und einen schwarze Vorhang hat. Wie geschaffen, um tänzerische und lichttechnische Einstellungen zu probieren.
Der Tanz kommt in „Fragile“, so könnte man vielleicht sagen, einmal mehr zu sich selbst. Vom rechten hinteren Bühnenrand wölbt sich ein weißes Mobilé über die Tanzfläche. Es bewegt sich nicht, und man weiß auch nicht so richtig, was es soll – weiter stören tut's aber auch nicht.
Immer wieder setzen sich – links die Jungs, rechts die Mädels – einzelne TänzerInnen am Rand der Spielfläche hin, trocknen sich den Schweiß, nehmen einen Schluck aus der Plastikflasche oder wechseln das T-Shirt. Kvarnström hat eine Probensituation fingiert. Die Figuren, die die Früh- und MittzwanzigerInnen zu tanzen haben, wechseln schnell. Doch die harten Bilder, mit denen Kvarnström, früher gerade ein junges Publikum für choreografische Dinge interessierte, sind weicher geworden, fließender. Als habe er bewusst Analytisches ausblenden wollen – zumindest insofern es sich nicht auf den Tanz selbst bezieht. Kein Drängen mehr, keine Gewalt. Derzeit, so scheint es, interessiert ihn eher die Mikroebene. Wie hingehaucht wirken viele Bewegungsabläufe. Das aber lässt gerade in jenen Momenten starke Bilder entstehen, da zwei oder mehr TänzerInnen zusammen kommen.
Es geht, bitte schön, um die Verletzlichkeit des menschlichen Körpers. Um die Art und Weise, wie Körper auch auf die kleinste Kleinigkeit reagieren. Trotz einiger Abstriche in der Feinstabstimmung ist die Ensembleleistung beeindruckend. Allein, wo will der Herr Choreograf hin? Die sich auflösenden und anders wieder formierenden Ensemblepassagen, die zahlreichen Hebefiguren, Abschnitte, in denen die Elemente des Streetdance (oder auch der „Popstars“-Seligkeit) eingearbeitet sind, sind schön! Und?
Selten entstehen wirklich prägnante Momente, wie etwa dann, wenn eine Ballerina, das Bein angewinkelt, wartend, in die Höhe gehoben zu werden, einen Moment zu lang in dieser Pose verharrt. Bis ihr Wunsch ihm Befehl wird. Alles ein wenig zu sehr State of the Art, ein wenig zu oft stagnierend. Das Hantieren mit einer Polaroidkamera entspringt eher einem artsy Zeitgeist, als dass es sich dramaturgisch aufdrängen würde. Nett ist das, technisch auf ziemlich hohem Niveau dargebracht. Mehr aber auch nicht.
Dass am Ende ungebremst freundlicher Applaus erklingt, mag auch der – und das völlig zu Recht! – treuen Festivalfangemeinde geschuldet sein. Wann sonst erlebt man es schon, dass der sponsornde Leiter der Kunst- und Kulturstiftung des wichtigsten Kreditinstituts am Platze in seinem launigen Grußwort mehr als nur wohlwollende Worte findet. Schließlich ist „TANZ Bremen“ auch ein resonanzfreudiges überregionales Aushängeschild. Und außerdem sind sie so süß, die fünf da oben.
Tim Schomacker
Das Festival TANZ Bremen läuft noch mit täglich unterschiedlichen Veranstaltungen bis einschließlich 10. März. Das Festival-Programm ist im Internet unter www.tanz-bremen.de zu finden. Kartenvorbestellung zum Beispiel unter Tel: 0421–3653 333, Fax: 3653 332.
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