: „Wir dürfen nichts übereilen. Die Gesellschaft ist konservativ“
Mahbuba Hoquqmal, Dekanin der Fakultät für Rechts- und Politikwissenschaft an der Uni Kabul und Mitglied der Loja-Dschirga-Kommission, über Verfassung und Frauenrechte
taz: Die Taliban sind weg, doch an der Situation der afghanischen Frauen scheint sich bislang nicht viel geändert zu haben. Was kann man da tun?
Mahbuba Hoquqmal: Was wir in erster Linie brauchen, ist Frieden. Ohne Frieden und Sicherheit lässt sich nichts erreichen. Wir hoffen, dass die internationale Gemeinschaft uns auf Dauer beistehen wird, nicht nur für eine begrenzte Zeit.
Zur Zeit werden die Weichen auch für die neue Verfassung gestellt. Wird die wieder auf dem islamischen Recht basieren?
Ich kann die neue Verfassung ein wenig antizipieren, denn ich war bereits an den Verfassungsentwürfen unter König Daoud und unter König Zahir Shah 1964 beteiligt, und diese Verfassungen entsprachen den Gesetzen des Islam. In jener Zeit hatten Frauen die gleichen Rechte wie die Männer. Eine Ausnahme war nur das Familienrecht. Vom islamischen Familienrecht abzugehen ist schwierig, das braucht Zeit.
Das heißt, auch nach der neuen Verfassung werden in Afghanistan die Männer weiterhin ihre Frauen verstoßen dürfen, sie werden mehrere Frauen nehmen dürfen, und nach einer Scheidung werden weiterhin die Kinder automatisch dem Mann zugesprochen?
Ja. Wir können das nicht verhindern. Aber wenn das islamische Recht richtig angewandt würde, sollte es all das nicht geben. Gerichte sollten Polygamie nicht zulassen. Denn ein Mann muss sich allen seinen Frauen gegenüber gleich verhalten, und das kann niemand garantieren.
Haben Sie denn schon einmal daran gedacht, hier ein säkulares System zu fordern, etwa nach dem Modell der Türkei?
Unsere Gesellschaft ist konservativ und sehr religiös. Deshalb können wir zur Zeit keine größeren Veränderungen herbeiführen, die den Traditionen zuwiderlaufen würden. Besonders zum jetzigen Zeitpunkt geht das nicht. Für Veränderungen braucht man Zeit. Wenn wir es übereilen, wie es unter König Amanullah in den Zwanziger Jahren geschehen ist, dann wird das, wie damals, eine starke Gegenreaktion hervorrufen. Und dann werden alle positiven Entwicklungen wieder rückgängig gemacht.
Sollte man Frauenquoten einführen?
Ich befürworte das, aber die Lage erlaubt das nicht. Die Gesellschaft lässt das nicht zu. Frauen und Männer haben hier nicht die gleichen Rechte.
Was müsste denn getan werden, damit sich die Situation der Frauen verändert?
Wenn es hier erst mal eine starke Regierung gibt, die sich für die Frauen einsetzt, dann wird die Ungleichheit verschwinden. Und die Frauen müssen eine bessere Ausbildung bekommen. Bildung ist ganz unerlässlich.
INTERVIEW: ANTJE BAUER
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen