kommentar: Der Alleingang der USA bedroht die internationale Herrschaft des Rechts
Statt „Was dürfen wir hoffen?“ heißt es mit Blick auf die internationalen Beziehungen jetzt wieder „Was müssen wir befürchten?“. Der von Immanuel Kant inspirierte vorsichtige Optimismus, wonach die Nationen aus einem wohl verstandenen Eigeninteresse sich vertraglich zu einer Friedensordnung verstehen werden, droht dem Gesetz des Dschungels zu weichen. In ihrem ursprünglich legitimen Kampf gegen den Terrorismus sind die USA dabei, die sowieso schon lockeren Maschen internationaler Verträge und völkerrechtlicher Abmachungen aufzulösen.
Diese Tendenz trägt den Namen Unilateralismus, ein beschönigender Begriff, denn bei Licht besehen bedeutet er, dass die amerikanische Regierung ohne Rücksicht auf die Staatengemeinschaft ihre Kriegsziele definiert und bei der Kriegsführung allein über die Wahl der Waffen entscheidet. Der Geheimbericht Donald Rumsfelds an den Kongress über den Ersteinsatz amerikanischer Atomwaffen, der nichts anderes bedeutet als eine Neuauflage der Doktrin vom „führbaren“ Atomkrieg, ist nur das neueste, erschreckende Indiz.
Bei dem Postulat, den Kampf um die Menschenrechte weltweit zu führen und für dieses Ziel die jeweilige nationale Souveränität, wenn es nicht anders geht, einzuschränken, handelt es sich um kein ideologisches Hirngespinst. Dieses Postulat spiegelt die Wünsche vieler von Unrecht und Tyrannei Betroffener in vielen Ländern wider. Es stellt also einen realen politischen Faktor dar. Aber der kann nur wirksam werden im Rahmen geregelter internationaler Rechtsbeziehungen. Mögen die Vereinten Nationen noch so weit davon entfernt sein, als Sanktionsmacht gegenüber verbrecherischen Regimen, Gewaltunternehmern und Staatsterroristen aufzutreten. Eine bessere völkerrechtlich legitimierte Instanz existiert nun mal nicht.
Deshalb zerstört jede einseitige, einer vorgeblichen oder auch wirklichen Staatsräson folgende militärische Aktion das Netz, das nach den Worten des Aufklärungsphilosophen Holbach „den Bürger von Peking mit dem Bürger von Paris verbindet“. Internationalist zu sein, bedeutet heute, für die Stärkung der UNO und gegen jeden „Unilateralismus“ aufzutreten. Vor allem, wenn er der Interessenlogik der militärischen Supermacht folgt.
Nichts ist deshalb falscher, als die gegenwärtige Regierung der USA als Vorreiter in Sachen Humanität und Frieden zu porträtieren. Die Verrechtlichung der internationalen Beziehungen, sei es auf dem Gebiet des globalen Umweltschutzes, der internationalen Strafgerichtsbarkeit oder, falls alle anderen Stricke reißen, der militärischen Intervention gegenüber systematischen Menschenrechtsverletzern bezeichnet den einzig gangbaren Weg. Und auf allen benannten Feldern steht die USA-Administration auf der Gegenseite. Das sollte uns, Bürgern der Europäischen Union, zu denken geben. CHRISTIAN SEMLER
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