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Vernebelte Grenzwerte

Kiffern werden in Brandenburg nur drei Gramm Cannabis zum Eigenverbrauch zugestanden. Das sei verfassungswidrig, meint ein Amtsrichter in Bernau. Andere Bundesländer erlauben deutlich mehr

von FELIX LEE

Brandenburgs Kiffer können sich ein wenig entspannen. Denn die restriktive Richtlinie des Bundeslandes über „geringen Haschischbesitz“ ist verfassungswidrig. Diese Auffassung vertritt zumindest Andreas Müller, Richter am Amtsgericht Bernau. Er setzte einen Prozess gegen einen 20-Jährigen aus, der sich wegen des Cannabis-Besitzes verantworten muss. Eine endgültige Entscheidung soll nun das Bundesverfassungsgericht treffen.

Der 20-jährige Angeklagte aus Klosterfelde war im August des vergangenen Jahres in Berlin erwischt worden. Er trug 3,6 Gramm Cannabis bei sich, das er kurz zuvor in einer Berliner Diskothek erworben hatte – genau 0,6 Gramm zu viel. Denn zu seinem Pech muss er sich als Heranwachsender am Wohnort und nicht am Tatort verantworten, und das ist in seinem Fall Bernau. Hätte er seinen Wohnsitz in Berlin, wäre das Verfahren als Bagatelle eingestellt worden.

Vor acht Jahren hatte das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass das Verbot von Haschisch in Deutschland mit dem Grundgesetz vereinbar ist, der Erwerb und Besitz von geringen Mengen der „weichen Droge“ jedoch straffrei bleiben muss. In den Richtlinien der Bundesländer, an denen sich Polizisten und Staatsanwälte orientieren, ist der Begriff „geringe Menge“ allerdings unterschiedlich definiert. So werden in Schleswig-Holstein bis zu 30 Gramm geduldet.

Neben Baden-Württemberg ist Brandenburg in der Frage des Cannabis-Konsums besonders streng. Hinzu kommt, dass in Brandenburg die Maßeinheit nur schwer zu quantifizieren ist, wie selbst Staatsanwalt Seidel gestern vor Gericht zugab. Mehr als drei so genannte „Konsumeinheiten“ sind hier nicht erlaubt. Seidel rechnete vor: Bei dem Konsum eines durchschnittlichen Menschen dürfte die Einnahme von einem Gramm zu einem Rauschzustand führen. Demzufolge betrügen drei Konsumeinheiten drei Gramm, meint Seidel. Weil der Angeklagte diese Toleranzgrenze überschritten hatte, plädierte der Staatsanwalt für ein Strafmaß von 15 Tagessätzen.

Amtsrichter Müller erklärte hingegen, die unterschiedliche Handhabung in den einzelnen Bundesländern widerspreche dem Gleichheitsgrundsatz im Grundgesetz. „Das Cannabis-Verbot ist rechtsstaatlich nicht mehr nachvollziehbar“, so Müller. Da sein Vorschlag, den Fall einzustellen, vom Staatsanwalt abgelehnt wurde, will Müller den Fall nun dem Bundesverfassungsgericht vorlegen.

Schon für die Hauptverhandlung hatte Müller keine Mühen gescheut und gleich drei internationale Gutachter zu Hilfe gerufen. Dieter Kleiber, Psychologie-Professor an der FU Berlin, der auch an einer Studie des Bundesgesundheitsamtes mitgearbeitet hat, attestierte die geringen gesundheitlichen Risiken des Cannabis-Konsums. Aus pharmakologischer Sicht könne es nicht zu körperlichen Abhängigkeiten kommen. „Alkohol und Ecstasy sind viel gesundheitsschädlicher.“ Dem schloss sich auch der niederländische Soziologe Peter Cohen von der Universität Amsterdam an. Die Kriminalisierung der Cannabis-Konsumenten sei sozial viel gefährlicher als der eigentliche Konsum. Zudem werde in Ländern wie den USA und Schweden, in denen sehr restriktiv gegen Cannabis-Besitz vorgegangen wird, durchschnittlich pro Kopf doppelt so viel konsumiert wie in den Niederlanden, in denen der Konsum geduldet wird. Der Schweizer Psychiater Ambron Uchtenhagen sagte, beim Cannabis-Konsum könne gar nicht mehr von einer „Subkulturdroge“, sondern eher von einer „Kulturdroge“ gesprochen werden, so verbreitet sei der Konsum in weiten Teilen der Gesellschaft bereits. Ob sich das Bundesverfassungsgericht diesem konkreten Fall widmen wird, bleibt dahingestellt. Der Hamburger Rechtsanwalt Robert Wenzel vertritt einen Berliner, der aus medizinischen Gründen Cannabis konsumiert. Schon seit über einem Jahr wartet Wenzel auf eine Grundsatzentscheidung aus Karlsruhe. Wenzel: „Die trauen sich noch nicht.“

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