: Die Gelassenheit am Rhein
Die Wahlkölner Alex Paulick und Rob Taylor bilden das Elektronikduo Coloma, deren Songs die Stimmung alter Platten evozieren. Mit „Silverware“ ist ihnen ein bemerkenswertes Debüt gelungen
von MAX DAX
Ein schöner Nachmittag in Köln, eine große, helle Galeriewohnung im Parterre. Alex und Rob sind vorbeigekommen, um das CD-Cover des ersten Albums ihrer Band Coloma von Andreas, dem Grafiker, der auch Mitglied der Kölner Band Kreidler ist, abzunehmen. Thea, die mit Andreas in der Wohnung lebt, hat Kuchen gekauft. Wir kommen ins Gespräch. Wir reden über Köln und wie klein die Stadt trotz ihrer Größe doch eigentlich ist.
Rob und Alex sind nacheinander und aus unterschiedlichen Gründen vor sieben und acht Jahren aus London in die Rheinstadt gezogen. Früher hatten sie eine Band namens „Tonic“, den Namen haben sie jedoch zur weiteren Nutzung gegen eine Abfindung einem Limonadefabrikanten übertragen. Bedauern tun sie es nicht, denn Coloma, ihr neues Bandprojekt, ist musikalisch ganz anders als seinerzeit Tonic, das noch Strukturen einer Rockband hatte. Bei Coloma verfugen sich Knackser, Geklicke und digitale Störgeräusche zu einer Art minimalistischer Perkussion, der entkernte Melodien gegenüberstehen, einfache Basslinien und die einschmeichelnde Stimme Rob Taylors.
Jeder kennt in Köln jeden, was insofern von Bedeutung ist, als dass Rob im letzten Frühjahr in einer Kölsch-Kneipe auf den Techno-Musiker Matthias Schaffhäuser traf und beide sich zu Aufnahmen in dessen Studio verabredeten. In einer zweistündigen Session sang Rob die Strophen zu „Hey Little Girl“ ein, Schaffhäusers House-Remake des gleichnamigen Gassenhauers von der Gruppe Icehouse. Die Nummer avancierte zum Sommerhit auf Ibiza, weil Sven Väth den Song mochte und immer und immer wieder in seine Sets einwob. Zurzeit ist „Hey Little Girl“ drauf und dran, die englischen Charts zu erobern. „Meine Mutter hat den Song neulich im Friseursalon gehört: Ihr Sohn im Radio! Sie sagt, dass ich genauso singe, wie ich immer im Bad gesungen habe. Mit anderen Worten: In England hätten wir nie die Ruhe und Gelassenheit gehabt, auf eine solche Idee zu kommen“, beschreibt Rob die Umstände, die sein Leben verändert haben.
Sicherlich auch, weil „Hey Little Girl“ ein solcher Erfolg beschieden war, erschien Colomas Debüt „Silverware“ vor wenigen Wochen auf Matthias Schaffhäusers Kölner Label Ware. Ein Debüt von titanener Wucht ist diese Platte geworden, mit Sicherheit eines der bemerkenswertesten in Deutschland entstandenen Alben der letzten Jahre. Die zehn Songs auf „Silverware“ tragen Titel wie „The Difference Between Silver And Grey“, „Transparent“ oder „In A Snowstorm“ und geben sich zunächst kühl und distanziert. Tatsächlich entpuppt sich der Elektronika-Pop Colomas aber als beiläufig bis lässig bis poetisch, als ob dieses Album ein alter Vertrauter wäre, nach Jahren aus dem Regal gezogen, und das liegt an der fast buddhistischen Ruhe, mit der Taylor singt, an den auf Auslassungen basierenden Arrangements Alex Paulicks und an liebevollen Details wie etwa die aus dem Nichts auftauchende Country-Lap-Steel-Guitar, die in der synthetischen Sound-Umgebung gar nicht wie ein Fremdkörper wirkt. Es liegt aber auch daran, dass Colomas Songwriting einerseits von der Musik der Dreißigerjahre, von Cole Porter und George Gershwin, andererseits von Giganten des Songwritings, etwa Leonard Cohen oder Hank Williams, inspiriert ist.
„Wir studierten die alten Platten“, sagt Alex, der seinerseits als Bassist eine Nebenrolle bei Kreidler spielt, „Pop-Songwriting hat eine lange Tradition, die ersten Popsongs entstanden parallel zum Siegeszug des Radios. Wir versuchten herauszufinden, woran das liegt, dass einen diese Songs auch heute noch ansprechen.“ Eine Schatzsuche muss das gewesen sein. Ein anderer Einfluss war die Köln-Düsseldorfer Elektronik-Szene, namentlich Schaffhäuser, Mike Inc., Mouse On Mars, Kreidler und die übrigen üblichen Verdächtigen. Deren avantgardistische Experimente in Sachen Groove-Abstraktion und Soundunfallverwertung oder die Erkundung der eigenen elektronischen Wurzeln in den Sechziger- und Siebzigerjahren eröffneten Coloma den Weg, ihrem Songwriting eine spezielle, ganz eigene Dynamik mit auf den Weg zu geben. Rob Taylor: „Viele Leute fühlen sich dennoch an die Achtzigerjahre erinnert, wenn sie unsere Musik hören, ganz speziell fällt oft der Name Depeche Mode. Die aber benutzten immer schon große, schwere Sounds, während wir an subtileren, reduzierteren Stimmungen interessiert sind. Wenn es überhaupt Parallelen gibt, dann die, dass auch Dave Gahan wie ein echter Mensch singt, über Stimmungen und Empfindungen.“
Coloma war übrigens eine alte Westernstadt in Kalifornien, am American River bei Sacramento, nur 170 Kilometer von San Francisco landeinwärts gelegen. Seit dort 1849 Gold gefunden wurde, ist Coloma ähnlich wie Klondyke ein Synonym für den sprichwörtlichen Reichtum über Nacht. Alex wuchs in der Nähe von Coloma auf und hörte während seiner Jahre in Amerika viel Country und Folk. „Das hat abgefärbt auf mich, selbst wenn ich am Computer sitze und Knackser zu einem Rhythmus anordne. Das ist auch der Grund für ein in der elektronischen Musik so unübliches Instrument wie die Lap Steel Guitar, mit der ich in der Lage bin, diese Country-Einflüsse zu transzendieren. Man kann Millionen von Tönen auf diesem Instrument spielen, weil es den Raum zwischen den Noten erfasst. Du kannst sozusagen den space between einfangen“, sagt Alex Paulick und bringt damit den Entwurf Coloma auf den Punkt: der Raum, die Unendlichkeit dazwischen. Coloma erreichen diese Weite durch Auslassung, durch Nicht-Stillen, durch Reduktion. Es ist faszinierend festzustellen, welche Welten sich öffnen, wenn eine elektronische Band auf Loops verzichtet und Geschichten erzählt. „Silverware“ ist eine sensationelle Platte.
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