: Flugzeuge im Ohr
Zum 51. Mal wurde der Hörspielpreis der Kriegsblinden verliehen. Die meisten Stimmen bekam das Duo Andreas Ammer und FM Einheit für „Crashing Aeroplanes“ – eine Produktion, die unmittelbar nach dem 11. September nicht gut angekommen wäre
von GABY HARTEL
„Verräter!“, zischelt es in den Raum. Alles lacht. War ja auch nicht böse gemeint. Hier doch nicht, wo es zugeht wie bei einem sportlichen Wettbewerb. Kommentiert wird – offensichtlich von einem, der das preisgekrönte Stück nicht so toll fand – das Ergebnis der geheimen Abstimmung. Aufgeputscht von Hörstücken, Tee und Kaffee haben in den Räumen des Senders Freies Berlin 19 Juroren um Stimmen für ihren Favoriten gestritten: Vertreter des Bundes der Kriegsblinden, Kritiker sowie Abgesandte der Filmstiftung NRW, die seit 1994 mit im Boot sitzt.
Rasch bilden sich Lager für und gegen ein Stück; aber wenn die Argumente der Gegenseite überzeugend genug sind, wechselt schon mal einer ins „gegnerische Team“ – und wird dann eben zum „Verräter“. Die Altersspanne der Juroren reicht von Anfang 30 bis 80, und so prallen unterschiedliche ästhetische Sozialisationen aufeinander. Doch dafür ist eine simple Älter-gegen-Jünger-Gegnerschaft sehr selten. Bei Edgar Lipkis bis zum Schluss heiß diskutiertem „Battle Field Eye“ (WDR) beispielsweise, einer Kollage aus Literatur und Nachrichtentexten zum kulturhistorischen „Phänomen“ Krieg, sprang anders als erwartet ausgerechnet einer der Ältesten in den Ring. Und verteidigte das Stück gegen die Kritik, ihm fehle die aufklärerische Struktur: „So ist der Krieg! Chaotisch, nivellierend und monoton.“
Doch zum Gewinner: Mit „Crashing Aeroplanes“ (WDR) erhält eine Arbeit den Hörspielpreis der Kriegsblinden, die bereits im Vorfeld kontrovers diskutiert wurde. In dieser Text-Sound-Collage konfrontiert das verdiente Hörspielduo Andreas Ammer (Jahrgang 60) und FM Einheit (Jahrgang 57) seine Hörer mit den Schrecken des Flugzeugabsturzes. Eine Grundangst wird hier beschworen, die nach dem 11. September so hilflos konkret verstanden wurde, dass die Produktion damals schnell aus den Programmen verschwand. Dabei rühren die Macher nur scheinbar an einem Tabu, wenn sie ihren Nachruf auf den Menschheitstraum vom Fliegen mit Hilfe von Blackbox-Aufzeichnungen komponieren.
Natürlich haben sie sich die Frage gestellt, wie sie die verunglückten Piloten vor Voyeurismus schützen, deren letzte Gesprächsfetzen wir hier hören. Ammer/Einheit ist die Gratwanderung gelungen: Sie gehen ihre Sache behutsam an und beginnen mit dem ersten gescheiterten Flug der Geistesgeschichte, dem Ikarus-Mythos. Erst dann wird vorsichtig in die Frühzeit der Flugtechnik überblendet: zur O-Ton-Reportage eines Zeppelinabsturzes. Wir kommen zum Massenflugverkehr. Eingebettet in ein rhythmisiertes Geräuschgemenge aus Maschinentönen, Sicherheitsbändern in mehreren Sprachen und einem durchaus emotionstragenden Beat kaum verständlich im Hintergrund: die ersten Stimmen der Piloten kurz vor dem Absturz ihrer Maschine über Lockerbie.
Paradoxerweise entsteht gerade in der zurückhaltend leisen Stimm-, Chor- und Musikkollage eine ästhetische Kühle, die ein – dem Thema angemessenes – Pathos zulässt. In dieser verfremdet distanzierten Überhöhung und auch durch die Chöre gleicht „Crashing Aeroplanes“ Brechts Hörspiel „Der Flug der Lindberghs“ (1927) – einer Hymne auf die moderne Technik, die jetzt ein neues, schmerzliches Gegenstück erhält, welches den Schrecken unmittelbar erfahrbar macht und dadurch, soweit das möglich ist, ein wenig bannt.
Ammer und Einheit sind zum zweiten Mal Gewinner der höchsten Auszeichnung für Hörspielautoren im deutschsprachigen Raum. Das haben sie verdient. Denn seit über zehn Jahren setzen sich die beiden immer wieder von ihren lukrativeren Hauptjobs aus für die Weiterentwicklung der Hörspielkunst ein: Ammer arbeitet als Fernsehjournalist und Hörspielautor. FM Einheit, einst „Klangwerker“ der „Einstürzenden Neubauten“, ist Musiker und Komponist. Ihr 1995 preisgekröntes Stück „Apokalypse live“ (BR) segnete nicht nur die im Bayerischen Rundfunk losgetretene Öffnung des Hörspiels in Richtung Pop und Performance Art ab. Mit ihrer opernhaften Kulturgeschichte des Weltuntergangs (moderiert von Hajo Friedrichs) griffen Ammer/Einheit auf die heute allgegenwärtige Präsenz des Dokumentarischen in die Kunst vor.
Künstlich, wirklich
Sie mischten ein Soundstück aus Alltagswirklichkeit, Mythos und Weltliteratur, das trotz seiner Künstlichkeit (oder deswegen?) „näher dran“ zu sein scheint an der Wirklichkeit als die lauthals proklamierte Authentizität einer Thirtysomething-Autorin wie Thea Dorn. In ihrem Monolog „Bombsong, Durchgestrichen: Untitled“ (HR) versucht sich Dorn am Psychogramm einer Terroristin kurz vor dem Anschlag auf den Potsdamer Platz. Schreibt aber lediglich einen glatten Ekel-am-Überfluss-Textstrom, den sie dann selbst in unglaubwürdiger Routine abliest. Anstelle der kritischen Bestandsaufnahme entsteht so bestenfalls das Porträt einer traurig verwöhnten Generation.
Auch Eva Meyer und Eran Scherfs Produktion „Unmöglichkeiten neu gemischt“ (BR) spielt mit der Wirklichkeit, indem sie den Irrsinn des palästinensisch-israelischen Konflikts als „Krieg im Äther“ nachstellt. Wenn hier die Radiopropaganda beider Seiten rekonstruiert wird, wirken die Texte fast offensiv „selbst geschrieben“. Ein Effekt, den die geschulten deutschen Schauspielstimmen noch verstärken. Sodass dieser ambitionierte Ansatz am Ende zeigt, wie sehr eine Kunstsprache in akuten Krisenmomenten hinter dem O-Ton abfallen kann.
Zuletzt noch ein Wort zu John von Düffels „Die Unbekannte mit dem Fön“ (MDR). Hier führt ein Sprachkönner ganz unblasiert vor, wie sich ein Hörspiel in seiner quirligen Erzählung selbst aus dem Nichts erschafft. Das Angenehmste aber: Er verschafft Erholung von der Wirklichkeit.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen