: Wald bald Papier
von MARIANNE KLUTE
„Ich gebe mich geschlagen.“ Herr Soewartono starrt hilflos auf die tiefen Fahrrinnen, die die schweren Fahrzeuge in den Urwaldboden Borneos gefressen haben. Das graue Gestrüpp verdeckt kaum die Wunde, die dem Nationalpark Betung Kerihun im indonesischen Kalimantan erst vor drei Tagen von illegalen Holzfällern zugefügt worden ist.
Es ist nicht der erste Vorfall dieser Art in dem Nationalpark, und Soewartono, der Direktor, fühlt sich nicht mehr in der Lage, für dessen Bestehen zu garantieren. Innerhalb eines Jahres hat der illegale Holzeinschlag geschafft, was dreißig Jahren räuberischen Kahlschlags der Suharto-Diktatur nicht gelungen ist: Inzwischen macht der Raubbau auch vor den geschützten Regenwäldern nicht mehr Halt, schwerste ökologische Schäden sind das Resultat.
Hunderttausende der Urwaldriesen sind nach Angaben der wichtigsten indonesischen Tageszeitung Kompas allein aus Betung Kerihun seit Februar letzten Jahres auf Schiffen und Lastwagen verladen und direkt über die Grenze in den malaysischen Teil von Borneo geschmuggelt worden. Dort werden sie zu Bauholz und Papier verarbeitet oder sie sind für die nicht ausgelasteten Zellstoff- und Holzbetriebe in Sumatra bestimmt.
Wie in Betung Kerihun sieht es an vielen Orten Indonesiens aus. Einst berühmt für die Fülle und Artenvielfalt seiner tropischen Regenwälder hat Indonesien schon während der langen Herrschaft des früheren Staatspräsidenten Suharto 70 Prozent seiner bewaldeten Fläche verloren. Doch nach dessen unfreiwilligem Rücktritt explodierten die illegalen Abholzungen förmlich: In den 90er-Jahren musste Indonesien jährlich den Verlust von 1,6 Millionen Hektar Waldfläche melden. Seither stieg die Entwaldungsrate dramatisch an und beträgt jetzt, laut der Statistik der Umweltbehörde Bapedal, jetzt 2,4 Millionen Hektar.
Noch pessimistischer in ihren Schätzungen ist die Nichtregierungsorganisation „Forest Watch Indonesia“. Sie vermutet, dass jährlich 3,6 Millionen Hektar kahl geschlagen werden. Die „Food and Agriculture Organization“ der UNO schätzte in ihrem Jahresbericht 2001 die Entwaldungsrate in Indonesien sogar als die höchste der Welt ein, während die Umweltorganisation „Walhi“ befürchtet, dass nur noch 40 Millionen Hektar überhaupt von Regenwald bedeckt sind.
Profitgier, Armut, Korruption und politische Fehlentscheidungen haben dazu beigetragen, dass dem Wald nur noch wenige Jahre Überlebenschance eingeräumt werden. Am härtesten ist Sumatra betroffen. In drei bis fünf Jahren wird Sumatra kahl geschlagen sein, so die Einschätzungen von Walhi bzw. der Weltbank. Kalimantan, dem indonesischen Teil von Borneo, verbleiben noch zehn Jahre, während den einmaligen Regenwäldern Papuas, der drittgrößten Insel der Welt, noch eine Frist von fünfzehn Jahren eingeräumt wird. Von den Restwäldern und Teakholzplantagen auf Java und Bali besteht nur ein kümmerlicher Rest.
Hauptursache für die Tragödie ist der illegale Holzeinschlag, der die Überkapazitäten der Holz- und Zellstoffindustrie zu befriedigen sucht. In den 90er-Jahren entschied die „Consultative Group on Indonesia“, eine Gruppe von neun Kreditgeberländern, zu denen auch Deutschland gehört, in die indonesische Papier- und Zellstoffproduktion zu investieren. Das bedeutet, dass die Papierindustrie, die die Hälfte aller illegal geschlagenen Bäume verheizt, das mit Geldern auch aus Deutschland tut. Abgesichert mit Hermesbürgschaften, für die der Steuerzahler geradestehen muss. Allein die Firma „Indah Kiat Pulp and Paper“ des Konzerns „Asia Pulp and Paper“, der von der Deutschen Bank und der Commerzbank finanziert wird, verbraucht nach Angaben der Tageszeitung Kompas ein Viertel der offiziell zugelassenen Menge Holz. Das entspricht 6,8 Millionen Kubikmetern, wovon nur 13 Prozent aus Waldplantagen stammen. Der große Rest ist illegal gefälltes Holz.
Wenn der Boden kahl geschlagen ist, folgen die Brände, die ihn für die Plantagenwirtschaft vorbereiten. Sie schaffen Platz für endlose Monokulturen wie zum Beispiel Palmen für die Produktion von Margarine und Tierfutter. Verschärft hat sich die Lage, als der Internationale Währungsfonds 1998 zur Eindämmung der Krise von Indonesien forderte, seine Holz verarbeitende Industrie zu stärken. Zusätzliche Investitionen in Holz-, Zellstoff und Palmölplantagenbetriebe waren die Folge. Längst reichen den hoch verschuldeten Unternehmen die konzessionierten Wälder nicht mehr aus. Drei von vier Baumstämmen, schätzt die Umweltorganisation Walhi, werden ohne Genehmigung gefällt, zumeist von den großen Firmen, die keine Rücksicht nehmen auf die Zerstörung der Lebensgrundlagen von Mensch und Tier, auf die traditionellen Landrechte indigener Völker und auf die ökologischen Folgen. Die Holzschlagfirmen machen vor nichts Halt, weder vor Naturreservaten noch vor geschützten Arten oder vor Stämmen mit geringem Umfang. Nur ein Bruchteil der Flächen, für die Lizenzen zum Fällen bestehen, werden wieder aufgeforstet oder gar nachhaltig bewirtschaftet. Denn mit dem Holz werden zu hohe Profite erwirtschaftet und Schulden bezahlt.
Den internationalen Geldgebern ist das Desaster, für das sie mitverantwortlich, sehr wohl bekannt. Sie empfehlen deshalb zwar striktere Maßnahmen gegen den illegalen Holzschlag, vergeben aber weiterhin großzügig Kredite an Holzfirmen. Dass die indonesischen Behörden ebenfalls nur halbherzig gegen das Problem vorgehen, wundert deshalb nicht. Der Wald ist außerdem eine der Haupteinnahmequellen vieler Politiker und Offiziere. Auch hat die seit Anfang des Jahres in Kraft getretene Autonomie, die den Provinzen mehr Rechte gewährt, zu neuem Kompetenzgerangel geführt und verspricht lokalen Größen endlich die Beteiligung am Profit. Sobald sich auch diese korrumpieren lassen, greift die traditionelle Waldbewirtschaftung nicht mehr. Und ein Direktor Soewartono kann nicht länger für den Bestand seinen Nationalparks garantieren.
Das bedeutet auch, dass der Wald dann dem Zusammenschluss von großen Unternehmen, Politikern und Militärs ausgeliefert ist, vor dem dürftig ausgerüstete Parkranger die Flucht ergreifen. Die Polizei schützt den Transport der illegalen Holzflöße bis in die Häfen. Dort deklarieren Beamte des Forstministeriums das illegale Holz um oder sie drücken beide Augen zu, wenn das unverarbeitete Rohholz direkt auf Schiffe fremder Flagge aus Malaysia, China, Singapur oder Panama verladen wird. Eine Ahnung vom Ausmaß der unerlaubten Exporte illegal geschlagener und unverarbeiteter Holzstämme allein nach Malaysia geben die Statistiken für 2000: Indonesien gibt an, 7.860 Kubikmeter Holz exportiert zu haben, während Malaysia im gleichen Zeitraum 578.390 Kubikmeter Holz aus Indonesien importiert hat. Das entspricht der 72fachen offiziellen indonesischen Exportmenge.
Wegen des groß angelegten Schmuggels steht die Holzindustrie, in der sechs Millionen Menschen beschäftigt sind, vor dem Ruin. Der indonesischen Regierung entgehen Steuern und Abgaben in Milliardenhöhe. Daher folgte die Regierung Ende letzten Jahres der Forderung der Vereinigung der Holzindustrie und sprach ein zeitlich begrenztes Exportverbot für unverarbeitete Holzstämme aus, das jedoch von Forstminister partiell aufgehoben und somit unterlaufen wurde. Bisher verlief auch jede Operation gegen illegale Holzfäller im Sande, das konfiszierte Holz tauchte nach kurzer Zeit wieder auf dem Markt auf und die Verdächtigen gehen straflos aus.
Es ist ein offenes Geheimnis, dass hohe Militärs und Polizeibeamte die Holzfällertrupps schützen, schon weil sie oft als Unternehmer direkt beteiligt sind. Staatliche Maßnahmen greifen nicht, zu groß ist der Filz, zu profitabel die Korruption. Nur ein sofortiges Verbot kommerzieller Abholzung, davon sind indonesische Umweltgruppen zusammen mit Down to Earth in London überzeugt, könnte helfen, die letzten Wälder Indonesiens zu retten. Ohne ein solches Waldmoratorium wird der Zusammenbruch der überdimensionierten Holzindustrie nur um wenige Jahre verschoben.
Die Autorin ist Mitarbeiterin der Menschenrechtsorganisation „Watch Indonesia“. Sie hat 15 Jahre in Indonesien gelebt.
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