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Ein Anschlag, der keiner sein darf

von KATRIN BALAOUI

„Sie erzählen, was ihnen gerade einfällt“, meint Selma entnervt, als der arabische Fernsehsender al-Dschasira die Version der tunesischen Regierung zur Explosionskatastrophe auf der Ferieninsel Djerba sendet. Die tunesischen Nachrichten schaltet ihr Mann Hamadi erst gar nicht an. An die Zuverlässigkeit der gleichgeschalteten Presse Tunesiens zweifelt ohnehin jeder.

Die Explosion vor der alten Synagoge La Ghriba, die bis gestern sechzehn Tote forderte, wird in Tunesien als tragischer Unfall vermeldet, und in den Medien wird ihr keine weitere Aufmerkamkeit geschenkt. Ganz anders dagegen in Deutschland, das wegen der bislang elf getöteten deutschen Touristen inzwischen Ermittlungen aufgenommen hat. Beamte des Bundeskriminalamts sind nach Tunesien geflogen und untersuchen die fragwürdige Version der tunesischen Regierung. Erste Ergebnisse: „Es ist wohl so, dass man jetzt von einem Attentat ausgehen muss“, sagte Bundesinnenminister Otto Schily am Samstagabend (s. Kasten). Die Indizien dafür verdichten sich, und die Aussagen der tunesischen Behörden widersprechen sich von Stunde zu Stunde mehr.

In Tunesien haben die Menschen der offiziellen Version ohnhin nie geglaubt. Doch bevor man dies laut äußert, stellt man die Handys ab und schließt die Fenster. Jeder könnte im Polizeistaat von Präsident Zine al-Abidine Ben Ali ein Spitzel sein. Regimekritiker und ihre Angehörigen werden von den 120.000 Polizisten des Landes überwacht. Dabei hat Tunesien nur etwa neun Millionen Einwohner. Seit Ben Ali 1987 in einem unblutigen Putsch den republikanisch gesinnten Patriarchen Habib Bourguiba absetzte, hat sich die Zahl der Staatsdiener vervierfacht. Deshalb habe man in Tunesien kaum Probleme mit der Kriminalität, was in einem vom Tourismus stark abhängigen Land sehr wichtig sei, heißt es dazu von offizieller Seite. So wird die Repression nach innen mit der Sicherheit nach außen verkauft. Dieses Image ist seit dem Anschlag auf die Synagoge La Ghriba am vergangenen Donnerstag deutlich angekratzt.

Djerba im Frühjahr 2002. Trotz Osterferien verspüren Hoteliers und Restaurantbesitzer Einbußen. Der 11. September und der Nahostkonflikt haben ihre Auswirkungen auch auf das Fremdenverkehrsgewerbe Tunesiens gehabt. Tunesien braucht Touristen. Fünfeinhalb Millionen Menschen besuchten das Land im vergangenen Jahr, davon über eine Million Deutsche. 60 Prozent aller Arbeitnehmer Tunesiens sind direkt oder indirekt vom Tourismus abhängig. Und die kleine Insel Djerba hat außer der Fischerei und ein wenig Landwirtschaft ökonomisch wenig zu bieten. Der Tourismus schafft Arbeitsplätze auch für Zuwanderer aus den Dörfern des verarmten Südens.

Zwei Themen beherrschen die öffentliche Diskussion auf Djerba: die Situation in Palästina und der ausbleibende Regen. Für den Regen wird landesweit gebetet, über die Politik des israelischen Premiers Ariel Scharon gegenüber den Palästinensern herrscht Empörung, Betroffenheit. Jeder Kellner, jeder Händler, jede Angestellte im Hotel äußert spontan Mitgefühl mit den Palästinensern und empfindet Ressentiments gegenüber Israel. Dies bekommen auch die noch etwa 1.000 auf Djerba lebenden Juden zu spüren. Jüdische Schmuckgeschäfte sind geschlossen, ihre Besitzer auf Verwandtenbesuch in Paris oder Lyon. Die Besuchsdauer der Juden aus Djerba bei Verwandten wird immer länger, der Aufenthalt auf Djerba immer kürzer.

Die Spannungen zwischen Juden und Muslimen sind im Alltag spürbar. Dabei ist man von offizieller Seite bemüht, das Jahrhunderte währende friedliche Zusammenleben zu beschwören. Auch nach dem mutmaßlichen Anschlag auf die Synagoge spricht ihr Vorsteher, Perez Trabelsi, „von einem tragischen Unfall“, der das friedliche Zusammenleben nicht gefährden sollte, und bedankt sich in einer Stellungnahme für die Teilnahme des Präsidenten. Dabei hat Trabelsi schon in den Achtzigerjahren die latente Aggression am eigenen Leibe zu spüren bekommen. Ein Mitglied seiner persönlichen Leibwache verübte ein Attentat auf ihn. Auch dieser Vorfall wurde in Tunesien heruntergespielt.

Mit aller Gewalt wollen die tunesischen Machthaber die Fassade eines Musterlandes aufrechterhalten. So wie man die angekohlte Mauer der Synagoge nach der Explosion gleich neu tünchte. Eine Demonstration gegen Israel letzte Woche in Tunis ließ der Präsident gewaltsam niederknüppeln. Ben Ali will Ruhe und Ordnung im Land, damit die Geschäfte laufen. Vor allem die seines eigenen Clans.

Vor allem die Miglieder dieses Clans verdienen an der wirtschaftlichen Entwicklung und am Liberalismus des Landes. Intellektuelle kritisieren den Klientelismus, Nepotismus und die Korruption der Ben-Ali-Getreuen. Die zwei Gesichter des Regimes spiegeln sich auch in den immer wiederkehrenden Straßennamen wider. So hat jedes Nest einen „Boulevard der Umwelt“ und eine „Straße des 7. September“. Die Umwelt, das ist das moderne Tunesien, der 7. November der Tag der Machtübernahme Ben Alis.

„Wir haben den Terrorismus besiegt“ – mit dieser Parole buhlen Tunesiens Machthaber um das Vertrauen der europäischen Regierungen. Dafür werden Menschenrechte mit Füßen getreten, Meinungs- und Pressefreiheit unterdrückt und wird jegliche politische Opposition im Kampf gegen die Islamisten gleich mit verboten. Die Islamisten spielen in Tunesien im öffentlichen Leben keine Rolle mehr. Sie wurden verbannt oder landeten im Gefängnis. Die islamische Al-Nahda-Partei (Wiedergeburt) ist verboten. „Schauen Sie sich Algerien an“, empfehlen Regierungsvertreter jedem, der fragt, warum Ben Ali bei seiner angeblich großen Popularität Wahlmanipulation und Unterdrückung brauche. Beobachter indes meinen, das Netzwerk sei intakt, überall hätten die Islamisten ihre Leute.

Die Explosion in der Synagoge La Ghriba wird den Tourismus nachhaltig beeinflussen. Und sicherlich auch die Wallfahrt zur Synagoge, die für den 29. April geplant ist. Zu den zweitägigen Feierlichkeiten zu Ehren zweier Rabbiner reisten in den letzten Jahren stets tausende Juden aus aller Welt an. Die Feierlichkeiten sind in der Regel wie ein großes Familienfest. Aber wer wird sich dieses Jahr noch hierher trauen?

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