: „Grüß Gott, Sie Drecksau“
Skandal! Gerhard Haderers Buch „Das Leben des Jesus“ jetzt behindertenfeindlich
„Grüß Gott, sind Sie die Drecksau?“, lautet die Begrüßung, die der österreichische Zeichner Gerhard Haderer dieser Tage öfters hört, wenn er ans Telefon geht. „Solange man mich nicht in Streifen geschnitten auffindet, besteht aber kein Grund zur Beunruhigung“, sagt Haderer. Der Grund für die ungebetenen Anrufe ist sein kürzlich bei Ueberreuter erschienenes Büchlein „Das Leben des Jesus“, das in Österreich für Aufregung sorgt. Kirchenvertreter laufen Sturm gegen das Buch, die Boulevardpresse beschimpft Haderer als „Kotkünstler“, „Pornograph“, Wertezersetzer und Antichrist. Selbst Wolfgang Schüssel, Bundeskanzler des kotelettförmigen Landes, das immerhin die Kunstsachverständigen Hitler und Haider hervorbrachte, nannte Haderers Zeichnungen „Schund“. Anti-Haderer-Flugblätter kursieren, Leserbriefe werden geschrieben, Anzeigen erstattet: Ein kleines Land bastelt sich seinen großen Skandal.
Und wenn aus dem Süden eine reaktionäre Brise weht, springt auch beim Bayerischen Rundfunk der Ventilator an. Der heißt Markus Rosch, arbeitet für die ARD-Sendung „Report aus München“ und schafft es, das österreichische Christengejaule mit einer besonders schmierigen deutschen Variante noch zu überbieten. Schier Unglaubliches hatte Rosch der TV-Gemeinde am 8. April mitzuteilen: „Nicht nur Christus, sondern auch Behinderte werden von Haderer verhöhnt.“ Schnitt. Man sieht ein Behindertenheim und lernt Ordensschwester Sieglinde Gabriel kennen, die gerade „in Landshut das Bundesverdienstkreuz“ bekommen hat. Auch Schwester Sieglinde ist sauer, weil Jesus „sich selber nicht wehren kann“, oder, noch besser, „in einer Situation ist, wo er nicht Stellung nehmen kann dazu“. So viel Klarheit war selten unter der Ordenshaube, aber was hat das alles mit Behinderten zu tun? War Jesus, wie die christlich-demokratische Spitzenkraft Frank Steffel sagen würde, etwa ein „Mongo“ oder ein „Spasti“? Muss die Bibel neu geschrieben werden? „Report aus München“ behält’s für sich. Von Behinderten ist in Haderers Büchlein nämlich keine Spur. Lediglich ein Mädchen mit verletzten Zehen und einer kleinen Beule am Kopf wird von Haderers Jesus wundersam geheilt, sodass sie „elegant eine kleine Pirouette“ drehen kann. Haderer nimmt die Vorwürfe der „Abendlandrettungsgesellschaft“ denn auch gelassen: „Ich habe nur einen einzigen Behinderten gezeichnet, und das ist der österreichische Bundeskanzler – mit Brille!“
Haderers Buch ist märchenhaft und harmlos: Jesus berauscht sich am THC-haltigen Weihrauch, surft ein bisschen übers Wasser und leuchtet ohn’ Unterlass. Nicht einmal ans Kreuz genagelt wird er, sondern legt sich weihrauchmüde einfach unter den Ölbaum, und dann geht’s schwups hinauf auf Wolke sieben zu Jimmy Hendrix, John Lennon und Bob Marley. Da ist Funny van Dannens Song über das Ende des Balkensepps schon härter: „Sie schlugen ihn ans Kreuz, das war so Sitte / sie waren zu dritt, und er hing in der Mitte / wer wollte konnte sie hängen sehn, ohne Werbepausen, das war schön / und einer sagte im vorübergehn, er muss ja immer im Mittelpunkt stehn.“ Wenn Jesus stattdessen am Galgen gestorben wäre, sähe es heute nicht nur in der Heimat des Bayerischen Rundfunks etwas anders aus. Eine diese lustige Vorstellung illustrierende Postkarte von Peter Thulke ist in Deutschland seit Jahren erhältlich. Aufgeregt hat sich darüber niemand. Wieso auch? „Die christlichen Kirchen leben davon, dass ihr Anhang seine eigene Kirchengeschichte nicht kennt“, schreibt der Kenner der Kriminalgeschichte des Christentums, Karlheinz Deschner, in seinem lesenswerten Büchlein „Oben ohne“. Nicht einmal die historische Existenz des Jesus Christus sei erwiesen. Das von allen Pfaffen bis heute verbreitete „Märchen von Christus“, wie Goethe die Legendenbildung um den Lattenjupp nannte, hat mit historischen Tatsachen genauso viel zu tun wie Haderers kleine Bildergeschichte. Umso erstaunlicher, dass die gläubische Gemeinde bis heute immer dann aufschreit, wenn ihrem Jesus-Märlein eine andere Lesart zur Seite gestellt wird.
Das geht zu weit, heißt es dann jedesmal, das hat mit Kunst, mit Satire nichts mehr zu tun. Wie immer nutzt der Klerus die Sache erfolgreich zur Mobilisierung der schwindenden Anhängerschaft, und so könnten eigentlich alle zufrieden sein: den einen ihren unerschütterlichen Glauben, den anderen lustige Jesus-Comics. Freuen sollten sich die Gläubigen im Erdenrund aber doch ein bisserl, wenn ihre Götter wenigstens noch für lustige Zeichnungen und Lieder taugen. Denn eines ist nicht erst seit Funny van Dannen klar: „Tarzan und Jesus gehörn zu den Großen / sie hatten die gleichen Unterhosen / Im Grunde waren sie freundlich und friedlich / aber sonst warn sie unterschiedlich.“
MATTHIAS THIEME
Eine Ausstellung zum Buch von Gerhard Haderer „Das Leben des Jesus“ ist vom 20. April bis 2. Juni 2002 in der Galerie für Komische Kunst CARICATURA im Kulturbahnhof Kassel zu sehen.
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