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SCHRÖDERS VERSPROCHENE GANZTAGSSCHULE MUSS SICH NEU ERFINDENSündhaft teuer, aber ein echter Fortschritt

Der eine, Edmund Stoiber, bietet den Familien eine Kinderpauschale, die rund 25 Milliarden Euro kosten soll. Der andere, Gerhard Schröder, will 4 Milliarden Euro für Ganztagsschulen ausgeben. Beide „familienpolitischen“ Wahlversprechen sind sündhaft teuer. Aber deswegen sind sie nicht einfach Variationen des Gleichen. Dahinter kommt eine klare ideologische Differenz zum Vorschein.

Die heilige Familie fest im Blick, bleibt Stoibers bildungspolitisches Credo notgedrungen konservativ. In der Schule alles wie gehabt, heißt sein Programm, vielleicht demnächst bundesweit ein bisschen bayerischer. Stoiber wartet sehnsüchtig auf den Juni – dann werden seine bayerischen Gymnasien bei der nationalen Pisa-Auswertung wohl ganz ordentlich abschließen. Damit will er punkten – und überspielen, dass die internationale Pisa-Studie auch der bayerischen Schule eine glatte Sechs erteilt hatte: als extrem selektiv.

Stoibers Abwarteposition hat Schröder nun Aktivität entgegengesetzt: Nach Pisa muss Schule sich ändern, lautet Kanzlers Bildungsidee, und: Wir dürfen den deutschen Sonderweg der Halbtagsschule nicht weitergehen. Das ist, wenngleich wohl ungewollt, recht progressiv. Dem Kanzler ging es eher darum, den entschlossenen Macher zu geben, der nach dem Pisa-Schock die Schulen reformiert – ohne übertriebene Rücksicht auf den Föderalismus. Die Vier-Milliarden-Offerte kommt da ganz gut. Sie wird Eltern wie Schüler erfreuen. Und die föderalen Bedenkenträger können sie nicht ohne weiteres abweisen. Dafür ist Schröders Währung einfach zu hart.

Der wirkliche Gewinn aus des Kanzlers Ganztagsruck, wird er denn auch Wirklichkeit, ist dabei ein zufälliger. Eine Regel- in eine Ganztagsschule umzustellen, heißt viel mehr, als sie zu verlängern. Dieser Vorgang bedeutet eine komplette Transformation. Denn nicht einmal deutsche Unterrichtsanstalten werden es schaffen, Fächerteilung und 45-Minuten-Takt bis zum frühen Abend durchzupauken. Übergreifende Projekte werden die Schulen erfassen, die Lehrer werden ihre Pädagogik überdenken müssen. Eine Schule für den ganzen Tag muss sich neu erfinden. Etwas Besseres kann ihr gar nicht passieren. CHRISTIAN FÜLLER

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