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themenläden und andere Clubs Brottrunk macht süchtigAlles Leben kommt aus dem Darm

Es sind dunkle Zeiten. Das letzte Wochenende hatte mit seinen üblichen Rock- und 80er-Revivals wenigstens noch ein bisschen Freude in unsere Herzen gebracht: Bei der Abschlussfeier im Bad Kleinen wurde mit gereckt-geballten Fäusten zum alten Volkslied „Highway to Hell“ getanzt, im HiFi unter saunesken Bedingungen der Gruppe Kissogramm übertrieben euphorisch gehuldigt.

Man konnte sogar schon auf der Straße herumlungern und ahnte die Sommersaison kommen. Aber dann kam der Sonntag und das Tief „Resi“ machte aus Berlin „Neblin“, wie es die BZ wunderschön poetisch ausdrückte.

Man saß zu Hause, starrte ins Graue und hing schweren Gedanken nach. Ging man doch durch die milchigen Straßen, bohrten sich einem Hermann Hesses berühmte Zeilen in den Kopf: „Seltsam im Nebel zu wandeln, leben heißt einsam sein“, und man fand sich mitten im April in der schönsten Herbstdepression wieder. Einzig die Tatsache, dass bei dem Wetter vergleichsweise wenig Väter und Mütter mittleren Alters ihre hässliche Brut im dumpfen Fortpflanzungsstolz spazieren fahren, konnte die Stimmung ein bisschen aufheitern.

Trübsinnig fing dann auch die Woche an. Wohin mit sich? In der überfüllten neuen Montagsbar im dunklen zugigen Hausflur stehen, die Musik nur aus weiter Ferne hören, dafür den idiotischen Gesprächen der wenig attraktiven, studentischen, natürlich männlichen Musikspezialisten lauschen? Heißt das gelebt? Da bleibt man doch lieber zu Hause, besinnt sich auf das Wesentliche, die Innerlichkeit, also den Körper und den Darm letztendlich.

Wem ist heute schon noch bewusst, das alles Leben aus dem Darm kommt? Zum Glück klärte mich endlich eine Freundin über diese Tatsache auf, und brachte den Brottrunk in mein Leben. Der Brottrunk ist ein Lebenszweck, eine neue Religion. Dabei gibt sich der Brottrunk zuerst gar nicht als neues Diätmittel oder Sekte aus, sondern kommt ganz bescheiden, als ein irgendwie aus Brot fermentiertes, vergorenes Getränk daher.

Die Sekundärliteratur klärt sachlich auf, dass der falsche PH -Wert im Darm praktisch an allem körperlichen Unheil schuld ist. Der Brottrunk nun verändert den PH -Wert überall so dermaßen günstig, dass, so heißt es, nicht nur verpilzte Leiber sondern auch ganze umgekippte Seen durch hektoliterweise Zuführung von Brottrunk wieder gerettet werden konnten.

Auch in der Schweinemast kam es zu tollen Erfolgen, weil Brottrunk trinkende Schweine 1.6% weniger Fett ansetzen – eine wunderbare Aussicht für die Frühjahrsdiät! Das Olympiapferd „For Pleasure“ ist fast unnatürlich gesund, weil es seit einem Jahr täglich eine Flasche Brottrunk übers Futter bekommt. Und was den Tieren gut tut, hilft auch dem Menschen, sagt die Firma Brottrunk auf ihrer schönen Homepage.

Brottrunk macht süchtig, und erwähnt man ihn nur so nebenbei im Gespräch, ist das Gegenüber sofort angefixt, rennt wie elektrisiert ins Reformhaus, kauft den Trunk, denkt an nichts anderes mehr, träumt vom Brottrunk , bekehrt andere, sodass die Zahl der Brottrunkjünger und -jüngerinnen täglich steigt.

Manche Menschen trauen dem Brottrunk inzwischen schon übersinnliche Kräfte zu, erwarten von ihm das Aufheben unauflöslicher Widersprüche in der heterosexuellen Beziehung , überdurchschnittliche Uniabschlüsse oder goldregengleiche Verträge mit Majorplattenfirmen.

Das mag ein wenig zu weit gegriffen sein, zumal nach zwei Wochen Brottrunkgenuss die magischen Kräfte nachzulassen scheinen und die langwierige Phase der Stagnation eintritt. Aber vielleicht gibt es ja dann draußen im brottrunkfreien Leben wieder etwas tolles Neues.CHRISTIANE RÖSINGER

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