■ H.G. Hollein: Selbstaufsteher
Die Station, auf der ich liege, ist im Grundton babyblau. Dass passt, schließlich handelt es sich um den Männertrakt in Sachen HNO des AK Altona. Dort bin ich seit sechs Tagen „die Fazialisparese“ – vulgo Teillähmung des Gesichts – was sich im rollierenden Wechsel von Schwestern- und Ärtzeschichten scheint's besser kolportiert als endlose Permutationen meines zugegegeben nicht ganz gängigen Nachnamens. Ansonsten werde ich frühmorgens aufs Freundlichste geweckt, bekomme das Bett gemacht, ein Frühstück vorgesetzt und was ich sonst noch alles von Zuhause so nicht kenne. Ein gewisser Nachteil der regelmäßig getakteten und kalorisierten Nahrungszufuhr besteht allerdings in einer besorgniserregend rasanten Buddhaisierung meiner Leibesmitte. Außer Kauen und Fahrstuhlfahren belieben auch für den „Selbstaufsteher“, der ich bin, eben nur Sitzen und Sein als Fatburner-Topaktivitäten. So habe ich denn Muße ohne Maß, die ich zum Gutteil damit verbringe, mich über die kommunikativen Kapazitäten meiner Mitpatienten zu wundern. Mir nämlich gelingt es auch nach einer Woche noch nicht, aus dem „Haoihunano“, das aus einer doppeltamponierten Nase über eine schwere Zunge rollt, etwas zu entnehmen, auf das die Antwort „Au Scheiße, Mann!“ angemessen scheint. Mit meinem Zimmernachbarn habe ich derartige Probleme nicht, sind wir doch beide keine Freunde großer Worte. Optisch hingegen ergänzen wir uns fabelhaft: Er trägt eine Ohrenklappe links, ich eine Augenklappe rechts. Klinisch korrekt ist es natürlich ein „Uhrenglasverband“. Wie sich auch sonst mein Wortschatz um einige nützliche Wendungen erweitert hat. Ein Rollstuhl mit einem Zivi hinten dran ist „Transport“, ein Tropf firmiert heute unter „Infusion“ und eine Kanüle in die Vene, um an Ersteren gehängt zu werden, ist ein „Zugang“, der am Ende wieder „abgestöpselt“ wird. Was „Nasenschleuder“ und „Nackenklappe“ sind, überlasse ich dem grüblerischen Vermögen der geschätzten Leserschaft.
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