: Einheitsfront gegen Le Pen
Frankreich im Schock: Neofaschist schlägt Linke im ersten Durchgang der Präsidentschaftswahlen. Wahlkampf für die Stichwahl verlagert sich auf die Straße. Europäische Regierungen sind besorgt
PARIS/BERIN afp/dpa/taz ■ Frankreich macht mobil gegen Jean-Marie Le Pen. Mindestens 30.000 Schüler und Studenten versammelten sich gestern Nachmittag in mehreren französischen Städten zu Aufmärschen unter Parolen wie „Le Pen Faschist“ oder „Le Pen raus“, um gegen den Wahlerfolg des Rechtsextremistenführers am Sonntag zu protestieren. In Straßburg marschierten hunderte hinter einem Transparent mit der Aufschrift „Mussolini 1922, Hitler 1933, Le Pen niemals“.
Für den Abend war in Paris eine Großdemonstration angesetzt. Der Antiglobalisierungsführer José Bové rief zu einer „starken Mobilisierung gegen die faschistischen Ideen“ auf.
Bereits am Sonntagabend waren in Paris und anderen Städten mehrere zehntausend Menschen zu Spontandemonstrationen auf die Straße gegangen. Die meist jugendlichen Demonstranten waren schockiert darüber, dass der Führer der rechtsradikalen Front National (FN) bei der ersten Runde der Präsidentschaftswahl vom Sonntag mit 17,19 Prozent den bisherigen Premierminister Lionel Jospin von den Sozialisten schlug, der auf 15,85 Prozent kam. Damit tritt Le Pen am 5. Mai in der Stichwahl gegen Amtsinhaber Jacques Chirac an, der 19,41 Prozent der Stimmen erhielt.
Siegeschancen werden Le Pen am 5. Mai nicht eingeräumt. Blitzumfragen nach der ersten Wahlrunde geben Chirac 76 bis 80 Prozent der Stimmen. Neben seinen konservativen Konkurrenten haben auch Sozialisten und Grüne bereits zur Wahl Chiracs bei der Stichwahl aufgerufen. „Unser Gegner ist Chirac, aber unser Feind ist Le Pen“, hieß es seitens der Sozialisten. Die Trotzkistenführerin Arlette Laguiller hingegen will nicht für Chirac eintreten.
Der Wahlverlierer Jospin kündigte sofort nach seiner Niederlage an, nach der Stichwahl aus der Politik auszuscheiden. Damit werden voraussichtlich sofortige Neuwahlen zum Parlament nötig. Sozialistische Politiker riefen gestern zur Einheit der Linken bei diesen Wahlen auf.
Le Pen rief gestern „Patrioten, Souveränisten und authentische Republikaner“ auf, mit ihm zusammen „eine wahre Volksmacht der Verteidigung der nationalen Unabhängigkeit und der Opposition zur Globalisierung“ zu schaffen. Staatspräsident Chirac rief bereits am Wahlabend zu einem „demokratischen Sprung nach vorn“ auf, um „die Werte der Republik“ zu schützen.
Quer durch Europa äußerten Politiker Besorgnis. Bundeskanzler Gerhard Schröder hielt es für „sehr bedauerlich, dass die extreme Rechte in Frankreich so stark geworden ist“.
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