: Auch das Suchen ist verboten
Die Deutsche Bahn AG und „radikal“: Die alten Onlineausgaben auf einem niederländischen Server sollen gelöscht werden, und keine Suchmaschine darf Links anzeigen, unter dem sie gespiegelt sind
von PETER NOWAK und NIKLAUS HABLÜTZEL
Jahrzehntelang hat die Zeitschrift radikal, die Anfang der 80er-Jahre im Umfeld der Westberliner undogmatischen Linken entstanden ist, Polizei und Gerichte beschäftigt. Ende der 90er-Jahre, die Publikation war schon längst eingestellt, hatte sich der juristische Kampf ins Internet verlagert, bis er schließlich auch dort in Vergessenheit geriet: 1998 wurden die Verfahren gegen Provider, die den Zugriff auf einige alte Ausgaben der Zeitschrift ermöglichten, wegen „Geringfügigkeit“ mit einem Bußgeldbescheid von jeweils 1.000 Mark eingestellt.
Im selben Jahr trat auch das Informations- und Kommunikationsdienstegesetz (IuKDG) in Kraft, das sich vornahm, die bisher offenen Fragen der Providerhaftung für strafbare Inhalte zu regeln. Da die Sperrung einzelner Dokumente im Internet weder sinnvoll noch zumutbar ist, sollten Provider dafür nicht mehr belangt werden. Im Einklang mit der Technik schien der Rechtsfrieden wiederhergestellt – und die deutsche Rechtsprechung in dieser Frage ist auch in die Richtlinie der EU für den E-Commerce eingegangen.
Heute jedoch zeigt sich, dass diese von der ganzen Internetbranche seinerzeit begrüßte Regelung keineswegs vor massiven Eingriffen in den freien Datenverkehr schützt. Der Düsseldorfer Regierungspräsident Büssow zwingt seit diesem Februar Provider in Nordrhein-Westfalen dazu, den Zugriff auf hinlänglich bekannte, in den USA gespeicherte Neonaziseiten zu sperren. Da die Firmen diese Daten nur zu ihren Kunden durchleiten, sind sie nach dem IuKDG für ihren strafbaren Inhalt keineswegs verantwortlich – Gerichte werden noch in diesem Jahr über die Zulässigkeit der darüber hinausgehenden Verfügung von Düsseldorf entscheiden.
Ein Musterprozess
Jenseits des Rheins ist die Justiz schon einen Schritt weiter gegangen – und wieder einmal dient die gute alte radikal dazu, ein Exempel zu statuieren. Ein niederländisches Gericht verurteilte den Provider XS4ALL (www.xs4all.nl) dazu, sämtliche Onlineausgaben der „radikal“ von seinen Servern zu löschen, wo sie seit Mitte der 90er-Jahre immer noch gespeichert sind.
Anlass des Urteils war eine Klage der Deutschen Bahn AG, die sich mit der Einstellung des Verfahrens durch den deutschen Bundesstaatsanwalt keineswegs zufrieden gibt. Die Bahn AG rechtfertigt ihre Jagd auf die Internetausgaben einer längst verblichenen Zeitung mit dem Schaden, der durch Sabotageaktionen an den Gleisen und den Oberleitungen entstanden sei. Vor allem im Zusammenhang mit den Castor-Transporten wurden 1996 39 Anschläge mit Hakenkrallen sowie 36 Anschläge auf Achszähler verübt. In verschiedenen radikal-Ausgaben waren solche Sabotageanleitungen abgedruckt. Obwohl ein direkter Zusammenhang zwischen diesen Veröffentlichungen und den Aktionen nicht nachweisbar ist, will die Bahn AG die generelle Verbannung der Radikal aus dem Internet erreichen und damit, so ein Sprecher des Unternehmens, „ein Zeichen setzen, dass nicht jeder Sabotageanleitungen gegen die Bahn im Internet veröffentlichen kann“.
Die Übernahme der deutschen Rechtsprechung durch die EU machte es möglich, diesen Standpunkt auch außerhalb Deutschlands durchzusetzen. Zwar wandten Anwälte von XS4ALL ein, dass die radikal in den Niederlanden nie verboten war. Doch die Richter orientierten sich mit ihrem Urteil an der E-Commerce-Richtlinie der EU, wonach ein Provider für Inhalte strafrechtlich immer dann zur Verantwortung gezogen werden muss, wenn er von ihrer Rechtswidrigkeit Kenntnis hat und sie auf seinen Rechnern speichert. Da die Bahn AG XS4ALL zwei Tage vor der Klage zur Löschung der radikal-Seiten aufgefordert hatte, sah das Gericht diese Bedingung erfüllt, obwohl die Zeitung in den Niederlande weder gedruckt noch online verboten ist. Die Richter entschieden schlicht, dass die inkriminierten Sabotageanleitungen „unverkennbar illegal“ seien.
Schleichende Zensur
Nach dieser Logik ließe sich vermutlich jeder Kriminalroman verbieten, doch die schriftliche Urteilsbegründung steht noch aus. Sobald sie vorliegt, will XS4ALL prüfen, ob ein Widerspruch Aussicht auf Erfolg hat. Die Sprecherin des renommierten Providers sieht in dem Urteil jedenfalls eine „bedauerliche Einschränkung der Meinungsfreiheit“ im Internet.
Doch inzwischen weiß selbst die Bahn AG, dass es wenig sinnvoll ist, Dokumente auf einem einzigen Server zu löschen. Schon die Verfolgung der radikal durch die Bundesanwaltschaft sorgte seinerzeit für zahllose Kopien auf vielen Rechnern in aller Welt. Ein erneutes Verbot der Zeitung in den Niederlanden würde lediglich ihre weitere Verbreitung in anderen Ländern befördern. Doch das Urteil hat der Deutschen Bahn AG ein Mittel an die Hand gegeben, die Betreiber von Suchmaschinen unter Druck zu setzen. Nicht allein die verbotenen Dokumente selbst sollen aus dem Netz verschwinden, sondern möglichst auch jeder Hinweis auf eine Adresse außerhalb des Geltungsbereichs des europäischen Rechts, unter der sie völlig legal gespeichert sind. Kaum hatten die niederländischen Richter entschieden, ging bei Yahoo!, Google und Altavista ein Schreiben der Bahn ein, das ultimativ zur Löschung sämtlicher radikal-Seiten auffordert und im Weigerungsfall mit einer Klage droht.
Als Erster sperrte Altavista letzte Woche den Link auf die Sabotageanleitung. Ein Sprecher von Altavista Deutschland sagt, es handele sich dabei nicht um ein „juristisches“, sondern um ein „ethisches“ Problem. Die Adresse werde in eine banned list aufgenommen, sodass sie nicht mehr im Suchergebnis auftaucht.
Auch die Suchmaschine Google und das Webverzeichnis Yahoo! haben inzwischen – und schon vor der von der Bahn AG gesetzten Frist – alle Hinweise auf sämtliche Server gelöscht, auf denen die inkriminierten radikal-Ausgaben gespiegelt sind. Auf Nachfragen nach den Gründen für den vorauseilenden Gehorsam und nach den technischen Details der Maßnahme hieß es in den Presseabteilungen beider Firmen, man wolle sich dazu nicht äußern.
Tatsächlich ist die Rechtslage noch immer unklar. Suchmaschinen im engeren Sinne bieten zwar keinen eigenen Zugang zu möglicherweise strafbaren Daten, aber sie liefern Informationen, die dafür genutzt werden können. Insofern können sie als „Diensteanbieter“ im Sinne des deutschen Rechts betrachtet werden. Für die redaktionell betreuten Linklisten, wie sie Yahoo! anbietet, gilt in der EU das so genannte Herkunftslandprinzip. Es sieht vor, dass ein Unternehmen nach dem Recht haftet, in dessen Land es eine Niederlassung führt. Da Yahoo! eine deutsche Niederlassung hat, gilt das deutsche Recht auch für Informationen, die Kunden in anderen Ländern angeboten werden.
Ob dieses Prinzip aber auch für reine Suchmaschinen ohne redaktionelle Betreuung gilt, muss dennoch bezweifelt werden. Die Suchalgorithmen, mit denen Internetserver weltweit durchgekämmt werden, sind eine lediglich technische Dienstleistung. Auch die EU-Richtline verpflichtet die Betreiber nicht dazu, von sich aus die damit gefundenen Dokumente auf ihre mögliche Strafbarkeit zu überprüfen.
Die freiwillig installierten Sperrlisten, mit denen Google und Altavista offenbar die Suchergebnisse filtern, lassen indessen befürchten, dass der Rechtsrahmen aus kommerziellem Eigeninteresse gar nicht ausgeschöpft wird. Die Folge wäre eine schleichende Zensur. Spiegelungen verbotener Texte, wie sie noch in den 90er-Jahren üblich waren, um für die Informationsfreiheit zu demonstrieren, verfehlten zunehmend ihren Zweck. Die Adressen inkriminierter Inhalte wären dann nur noch wenigen eingeweihten Sympathisanten bekannt. p.nowak@gmx.de
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