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Stromhandel treibt die Preise hoch

Staunen in den USA über die wahren Ursachen der Stromkrise in Kalifornien. Mit der Liberalisierung des Elektrizitätsmarktes werden Finanzgeschäfte immer wichtiger und die Strompreise zu einem Risikofaktor, auf den mit Gewinn gewettet wird

von WOLFGANG HAFNER

Die Stromkonzerne treiben mit Hilfe von Termingeschäften den Strompreis hoch. Das zeigen Dokumente, die diese Woche dem US-Parlament vorgelegt wurden. Der Untersuchungsausschuss zur Pleite des ehemals weltgrößten Energiehandelskonzerns Enron staunte nicht schlecht über interne Papiere von Enron-Anwälten vom Dezember 2000: Dort wird klar geschrieben, dass Enron die Elektrizitätspreise in Kalifornien während der dortigen Stromkrise hoch getrieben hat.

Mit Hilfe von Fehlinformation an die Staatsregierung, Scheinverkäufen in andere Bundesstaaten und anderen Methoden verstärkte der Konzern damit die Stromkrise des Jahres 2000. Damals traten Versorgungsengpässe auf, die Regierung von Kalifornien reagierte mit Notmaßnahmen, die Staat und Stromkunden viele Milliarden Dollar kosteten. Es profitierten die Stromkonzerne.

Die wichtigste Rolle im Strom- wie auch im Rohstoff- und Devisenhandel spielen Termingeschäfte oder Derivate. Es handelt sich dabei – stark vereinfacht – um Verträge, zu einem bestimmten Zeitpunkt eine bestimmte Menge mit fixem Preis zu handeln: quasi Wetten auf eine zukünftige Entwicklung. In komplizierten Variationen werden dabei oft verschiedene Verträge kombiniert, so dass Aufsichtsbehörden wenig Chancen haben, überhaupt noch durchzublicken.

Die risikoreichen Geschäfte lohnen sich auch langfristig für die Händler. In den nächsten fünf bis sieben Jahren wird sich der Strompreis verdoppeln. Dies schreibt Deriwatt, die auf Derivatkontrakte spezialisierte Tochter des Schweizer Energiekonzerns Watt in der Broschüre „Investing in European Power“. Als Ursache für den zu erwartenden Preisanstieg führt Deriwatt technische Gründe an wie den Abbau der zurzeit bestehenden Produktionsüberkapazitäten, die knappen Übertragungskapazitäten und die Kosten für neue Produktionsanlagen. Nicht erwähnt werden dabei die steigenden Kosten, die durch den zunehmenden Bedarf an Risikoabsicherungsgeschäften und den damit verbundenen Zwischenhandel entstehen.

Auch die Schweizer Großbank UBS sieht hier Gewinnchancen. So kaufte sie kürzlich das Energiehandelssystem der maroden Enron – genau die Abteilung, die jetzt wegen der Kalifornienkrise im Kongress angeprangert wurde. Das Interesse der Banken ist neu. Bis jetzt war der Stromhandel langweilig, Angebot und Nachfrage pendelten sich über Jahre ein, da sich die Nachfrage nach Strom nur sehr langsam veränderte. Als Folge der Liberalisierung eröffnen sich nun Möglichkeiten für interessierte Händler und Produzenten, kurzfristige Änderungen der Strompreise entscheidend zu beeinflussen, falls die Regulierung des Marktes nicht nach klaren Richtlinien erfolgt. Je unberechenbarer die Preise werden, umso größer wird der Bedarf nach teuren Absicherungsgeschäften.

Stromhändler und -produzenten haben dabei grundsätzlich zwei Arten, die Preise zu manipulieren: Bisher konnte der Strom verknappt werden, indem zu kritischen Zeiten die Kraftwerke abgestellt werden, was Unterversorgung signalisiert. Damit steigt der Preis. Nach diesem Muster handelten erstmals die norwegischen Stromproduzenten zur Zeit der Olympischen Winterspiele. Als zweite Möglichkeit können neuerdings Strompreiserhöhungen auch durch die Beeinflussung des zukünftigen Preises von Strom erfolgen, wie die Hearings vor dem US-Senat zur Stromkrise in Kalifornien zeigen. Können etwa marktmächtige Handelsunternehmen steigende Strompreise signalisieren, so werden die Strompreise tatsächlich auch steigen, ob nun im realen physikalischen Stromaustausch Knappheit besteht oder nicht.

Mit der Liberalisierung ist der Handel komplex geworden und stark gewachsen, da oftmals sich überschneidende Handelsverträge mit unterschiedlichen Preisen abgeschlossen werden. So, wenn etwa ein Stromhändler zu Zeiten mit hohem Verbrauch – wie etwa am Mittag – teuren Schweizer Strom aus den Stausee-Kraftwerken bezieht oder umgekehrt ein schweizerischer Stromhändler während Zeiten mit schwacher Auslastung billigen Strom aus der Produktion von ausländischen Atomkraftwerken kauft. In den Leitungen fließt das Nettoergebnis dieser Kontrakte, während in den Handelsstatistiken alle getätigten Käufe und Verkäufe erscheinen. Im Juli 2001 lagen die physikalischen Importe der europäischen Stromdrehscheibe Schweiz bei knapp 1.000 Gigawattstunden (GWh), während die gehandelten Importe gemäß eidgenössischer Elektrizitätsstatistik 4.500 GWh betrugen. Ähnlich verhält es sich bei den Exporten.

Der Gewinn pro Handelskontrakt kann da bei Beginn der Liberalisierung bis zu 10 Prozent betragen, wie etwa die Beratungsgesellschaft A. T. Kearney kürzlich in einem Beitrag in der Wirtschaftswelt Energie feststellte. Das Handelsvolumen wird vor allem durch die Derivatisierung des Stromhandels aufgeblasen. Derivate können sich insgesamt auf eine Strommenge beziehen, die bis zu hundertmal so groß ist wie die physikalisch gelieferte, wie der Fall Enron zeigt.

Da der Stromhandel in der Schweiz und den umliegenden Ländern zu 95 Prozent direkt zwischen den Vertragsparteien ausgehandelt wird, ohne eine Börse oder sonstige öffentliche Kontrolle, besteht nur ungenügende Transparenz. Das erleichtert Manipulationen wie etwa den Handel mit fiktiven Kontrakten unter den Tochtergesellschaften des gleichen Konzerns. Rund 30 Prozent des Stromhandelsvolumens sind nach Angaben der Präsidentin der kalifornischen Aufsichtsbehörde, Loretta Lynch, so erzeugt worden.

Wesentlich für erfolgreiche Wetten ist die Möglichkeit, den Verlauf der Preise zu beeinflussen. Der intransparente Markt verschafft daher den großen Handelsunternehmen Wettbewerbsvorteile. Je weiter aber dereguliert wird und häufig auch die Transparenz abnimmt, umso wichtiger wird der Informationsvorsprung. Mag auch die Entwicklung in Europa nicht nach dem amerikanischen Muster ablaufen, so bestehen dennoch ähnliche Gefahren.

Info u. a.: www.stromkosten.de, Strombörse Leipzig: www.lpx.de

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