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standbildHarmonisches Zappeln

„Beckmann“

(Mo., 23 Uhr, ARD)

Hätte ich diese Ausgabe von Reinhold Beckmanns Sendung aufzeichnen können, verfügte ich über nützliches Anschauungsmaterial für Gäste aus dem fernen Ausland. Den Besuch, interessiert daran, etwas über die Deutschen zu erfahren, informierte ich kurz über die Protagonisten der Interviewshow. Zu sehen gibt es u. a.: einen nervösen Profifußballer, der die „harmonische Trennung“ von seiner Ehefrau bekannt gibt; eine aufgedrehte Politikerin, die ihre Sympathiewerte steigern will; eine freundliche Sängerin, die sich über ihre Vergewaltigung ausfragen lässt; und schließlich einen öligen Moderator, der Tiefgang simuliert.

Mit Verblüffung registriert der Zuschauer aus der Fremde den Auftritt des Fußballers. Nein, die neue Frau habe er nicht seinem Kollegen ausgespannt. Warum will er darüber sprechen? Und warum bezeichnet der Moderator die Kinder seines Gesprächspartners als „die süßen Kleinen“? Kennen die sich?

Am meisten jedoch wundert, dass die Sängerin nicht die Politikerin ist, denn sie ist schlicht gekleidet, zeigt keinerlei Starallüren und spricht vernünftig. Sie verliert nicht einmal die Beherrschung, als Reinhold Beckmann fragt, ob sie nach ihrer Vergewaltigung Probleme mit Männern gehabt habe. Die Politikerin hingegen, im strassbesetzten Jeansanzug, führt sich auf, als sei sie jüngst anlässlich der Verwüstung eines Hotelzimmers in die Schlagzeilen geraten und müsse nun etwas gutmachen – sie zappelt und lacht und schwärmt strahlenden Auges davon, wie viel „Spaß“ ihr der aktuelle Wahlkampf mache, und hört überhaupt nicht mehr auf. Nur einmal unterläuft ihr ein taktischer Fehler, erkläre ich meinem Gast während einer notwendig gewordenen Erholungspause: „Put your head on my shoulder“, das Lied, das sie manchmal einsam vor sich hin pfeift – im Wahlkampf bleibt keine Zeit für die Liebe –, ist nicht von „Ton Steine Scherben“, der Band, die sie sonst immer hört. Und wenn ich dann gefragt werde, ob es denn in Deutschland mehr Lucys oder mehr Stefan Effenbergs und Claudia Roths gäbe, lüge ich „Lucys“, um meinem Besuch nicht die Ferien zu verderben.

CAROLA RÖNNEBURG

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