: Krachmacher nach hinten
Der hard:edged-Wagen muss beim Karneval der Kulturen immer als letzter fahren. Man spielt wie jedes Jahr nur Drum & Bass. Ohne lustige Hüte und Hauptsache laut. „Das rockt“, sagt Stoffel
von KIRSTEN KÜPPERS
Wenn es etwas gibt, das eine Bedeutsamkeit besitzt im Leben des Steffen Hack, genannt Stoffel, dann ist das laute Musik. Die Lautstärke ist besonders wichtig. Die Musik muss direkt reingehen in die Menschen, in die Welt, alles erfassen und hochheben auf ein gutes Gefühl. Auf das wunderbare Erlebnis, das sich einstellt, wenn der Einzelne synchron wird mit der Umgebung, sich eintaktet in das Geräusch aus der Anlage. „In Deutschland ist sowieso immer alles viel zu leise“, meint Stoffel, 37 Jahre alt, Berliner aus Stuttgart.
Solche Sätze muss man wohl auch sagen, wenn man im Hinterzimmer eines Kreuzberger Plattenladens sitzt, als Chef eines Drum-&-Bass Labels in einem kleinen unaufgeräumten Büro, das sich „hard:edged“ nennt. Wenn man also Musik produziert, deren ureigenster Antrieb ist, jede stille Bewegungslosigkeit einfach wegzupusten.
Vielen Menschen ist das zu laut. Deswegen ist Stoffels Wagen immer der letzte am Karneval der Kulturen. Dem Tag der bunten Parade, an dem die Berliner die Verschiedenartigkeit ihrer Stadt leichter nehmen als an allen übrigen Tagen des Jahres. Die anderen Gruppen haben sich trotzdem über den Lärm aus Stoffels Anlage beschwert, haben geschimpft, diese jungen Krachmacher seien doch besser auf der Love Parade aufgehoben, weswegen der laute gelbe Tatra-Sattelschlepper nun jedes Jahr das Schlusslicht des Karnevalsumzuges bilden muss – weit hinter der polnischen Polkagruppe, nach der Hindu-Gemeinde, die traditionelle indische Verehrungsrituale tanzt, nach den indianischen Panflötenspielern und nach den Kreuzbergern, die in Tierfellen und mit Caipirinha-Bechern in der Hand durch die Menge treiben.
Stoffel macht beim Karneval der Kulturen mit, und nicht bei der Love Parade, weil es die „offenere Veranstaltung für ein breiteres Publikum“ sei, erklärt er. „Trotzdem sind wir keine verlorenen Hippies und keine afrikanischen Trommeltänzer.“ Stoffel ist nur einer aus Süddeutschland, der vor langer Zeit nach Berlin gezogen ist und im Nachtleben Mitte der 90er-Jahre mit einer neuen Musikrichtung namens Drum & Bass Karriere gemacht hat. In Clubs wie dem Toaster oder dem WMF, da, wo Folklore also gewiss keine Heimat hat. „Wir repräsentieren urban street culture“, sagt er. Man weiß nicht genau, was das heißen soll. Vielleicht in Jeans und Turnschuhen auf einem Drehstuhl hängen, so wie Stoffel gerade, eine Cola-Büchse in der Hand, Blick auf leeren Hinterhof, im Rücken eine Tür, mit wasserfestem Filzstift bekritzelt. Auf dem hard:edged-Wagen am Karneval gibt es jedenfalls keine inspirierten Kostüme, keine Blumengirlanden, keine Pelzbikinis, keine lustigen Hüte. Es gibt nur die laut gedrehte Musik aus der Anlage. Das genügt um den Nerv vieler Leute zu treffen. Von denen, die ganz erschöpft sind von all dem Glitter und der Schminke, derjenigen, die Mottopartys noch nie mochten.
Während des Gewitters im letzten Jahr tanzte die Menge hinter dem gelben Sattelschlepper im strömenden Regen so selbstvergessen schön, dass es für eine Woodstock-gerechte Erinnerung gereicht haben dürfte. Für dieses Jahr haben sich im Internetforum von hard:edged bereits Fans aus dem ganzen Bundesgebiet für die Parade angemeldet.
Es gibt eine Liveübertragung von den Karnevalsstraßen zu den Menschen drinnen in den Häusern, später einen Zusammenschnitt im Lokalfernsehen. Den guckt sich Stoffel am nächsten Tag an. Weil man wenig mitbekommt vom Umzug, wenn man auf seinem eigenen Wagen steht. Wer indes bei jedem Karneval der Kulturen dabei war, kann dafür Entwicklungen feststellen. Bei den meisten Menschen provozieren allein Zahlen wie 4.200 Akteure aus 80 Ländern in 115 Formationen, denen 1,2 Millionen Besucher zusehen, einen Geschmack von Ausverkauf, die eventgastronomisch gesteuerte Explosion einer ehemals überschaubaren Kreuzberger Kiezveranstaltung. Stoffel sagt, die Stimmung sei im Vergleich zu den Anfangsjahren aggressiver geworden. „Aber man kann doch nicht sagen, man macht ein öffentliches Fest, und sich dann beschweren, wenn auch die falschen Leute hingehen.“ Stoffel hat diesmal Security-Männer angeheuert, die neben dem Sattelschlepper herlaufen werden.
Manche Dinge ändern sich dagegen nie. Regelmäßig wünschen sich die Organisatoren des Karnevals, dass hard:edged doch noch ein fantasievolles Arrangement hinbekommt, eine selbst gebastelte Dekoration, eine nette Tanzeinlage. Für all die Menschen da draußen, die hinter der Geradlinigkeit einer großen Musikanlage die schlimme Beziehungslosigkeit der technifizierten Welt vermuten. Aber Stoffel ist einer, der schon in Trinidad und Brixton war. „Beim Karneval steht da an jeder Straßenecke ein gewaltiges Soundsystem, und das drei Tage lang.“ Die Sache mit der Musik ist demnach eine saubere einfache Idee: „Das rockt.“ Die Organisatoren des Karnevals haben neulich trotzdem wieder gefragt, ob sich die hard:edged-Leute nicht etwas einfallen lassen könnten: eine bunte Verkleidung oder irgendwas.
hard:edged mit den DJs Metro, Xplorer, Defiant, Most Wanted und MCs Jamie White und Santana auf dem Karnevalsumzug am Pfingstsonntag, letzter Wagen
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen