: Der rechte Griff zum Radio
Vom Baltikum bis zum Balkan sprießen rechtsextreme und rechtspopulistische Sender aus dem Boden. Rundfunk als Propagandainstrument ist das jüngste Ziel der Ultranationalisten im Osten
von ROLAND HOFWILER
Der Mann weiß, wie man Stimmung macht: „Dann gibt es da noch diese Zigeuner-Anwälte und diese Israel-Freunde“, beginnt István Csurka den pikanten Teil seiner Rede. Atemlose Stille in der Menge. „Und ich sage euch, meine lieben Ungarn“, verkündet der Parteichef, „solche Leute brauchen wir nicht in unserem Land.“ Es folgte minutenlanger Applaus.
Die Zuhörer verstehen, wie es gemeint ist: Zigeuner und Juden raus aus Ungarn. Csurkas Hasstiraden sind live fast überall im Land zu hören. Radio Pannonia aus Budapest überträgt auf UKW 99,5 kHz alles, was der rechte Meister von sich gibt, rund um die Uhr. Die Sende-Postille von Csurkas extremistischer Partei der ungarischen Wahrheit und des ungarischen Lebens ist derzeit die berüchtigste Radiostation in Ostmitteleuropa – doch bei weitem nicht die einzige „Stimme für nationale Interessen“. Mit Zeitungen und Flugschriften allein geben sich die braunen Propagandisten nicht mehr zufrieden. In Tschechien treibt die „Rechte Alternative“ im Äther ihr Unwesen, in Rumänien brachte es Corneliu Vadim Tudor, der Führer der Partei Großrumänien, zum beachtlichen Medien-Mogul, mit einem Netzwerk von Zeitschriften und lokalen Radioprogrammen. In den Sendungen machen Dolchstoßlegenden die Runde, geistern Verschwörungsfantasien im Raum, werden Geheimdienstmythen entwickelt. Als sei die Existenz des Volkes bei einem künftigen EU-Beitritt in Gefahr, als drohe alsbald die Versklavung durch die „kosmopolitischen Kräfte“ aus Brüssel, New York und Tel Aviv.
Den opportunistischen Zündlern gebietet niemand Einhalt, gegen das rechtsradikale Gepöbel gibt es in den EU-Anwärterstaaten kaum medienrechtlichen Einschränkungen, fast überall fehlen Gesetze gegen Volksverhetzung und Fremdenfeindlichkeit. Nach vierzig Jahren kommunistischer Zensur verzichten die meisten osteuropäischen Länder seit der großen Wende 1989/90 gänzlich auf einen Medienkodex. Von Hitlers „Mein Kampf“ bis zu antisemitischen Schriften ist bei Straßenhändlern alles zu haben, und im Radio so manches zu hören, was in Westeuropa streng geahndet würde. Besserung ist vorerst nicht in Sicht.
Auch bei den Verhandlungen über eine Osterweiterung der Europäischen Union ist das Thema rechtspopulistische Propaganda bislang kein Thema. Westliche Medienwächter prangern zwar immer wieder die Instrumentalisierung des staatlichen Rundfunks im Dienste der jeweils regierenden Parteien an, bleiben aber blind für die rechte Agitation auf lokaler Ebene und im privaten Mediensektor.
Ein Beispiel unter vielen: Seit Jahren regiert in der rumänischen Kreisstadt Cluj (Klausenburg) ein Bürgermeister, der sich zum Ziel gesetzt hat, „den rumänischen Patriotismus zu fördern“ und das einst multiethnische Siebenbürgen – womit er offen prahlt – zu „rumänisieren“. Wen wundert es, dass der Stadtsender Radio Cluj, der auf Mittelwelle mehr als hundert Kilometer über die Stadtgrenze hinaus zu empfangen ist, ein Hort rechtspopulistischer Propaganda wurde. In Siebenbürgen werden zwar den 1,7 Millionen Ungarn und den wenigen noch verbliebenen Deutschen eigene Radiostationen eingeräumt, doch nur über extrem schwache Stationen mit einer Reichweite von meist unter zwanzig Kilometern. In Lettland sind sogar selbst solche Mini-Sender untersagt, sogar in Regionen mit einer mehrheitlich russischen Minderheit müssen die örtlichen Stadtradios mindestens 75 Prozent der Sendezeit mit lettischsprachigen Beiträgen füllen und sich generell zur „lettischen Nationalkultur“ bekennen.
Ein Spezifikum stellen neuerdings die immer zahlreicheren religösen Radiosender dar. In katholischen Regionen heißen sie meist „Radio Maria“, in orthodox-slawischen Gebieten tragen sie häufig den Namen der Kirchenheiligen, wie etwa Radio Stefan in Montenegro oder Radio Kyrill in Mazedonien. Eines haben sie alle gemeinsam: Sie sind Tummelfeld dubiosester Rechtspopulisten. Bei Radio Marija in Kroatien wird ganz offen über eine territoriale Aufteilung des Nachbarlandes Bosnien nachgedacht und die Kriegsabenteuer des verstorbenen Präsidenten Franjo Tudjman verklärt, inklusive seine Ablehnung gegen eine „Vormundschaft des Westens in der offenen kroatischen Frage“.
Einer der berüchtigsten religösen Sender ist allerdings Radio Maryja in Polen. Unter dem Deckmantel des Katholizismus wettern dort die Rechtsaußen des Landes von früh bis spät gegen den „Ausverkauf“ des Landes und für die „wahren Werte und Interessen des Polentums“. Der Sender steht für Xenophobie, Antisemitismus und EU-Feindlichkeit schlechthin. Und doch wagt niemand einzuschreiten. Im Gegenteil: Seit dem Vorjahr genießt die Station, nach Protesten rechter Parlamentsabgeordneter, einen ähnlichen Status wie das öffentlich-rechtliche Staatsradio, wird aus Steuergeldern mitfinanziert. Die offizielle katholische Kirche distanziert sich zwar immer wieder von Radio Maryja, doch manch ein Pope greift hin und wieder gern zum Mikrofon, um den Gläubigen zu erklären: „Es ist eben leider so, die meisten Feinde Polens sind halt vor allem Juden.“
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