: Empörung über Möllemann wächst
Auch liberale Politiker verlieren die Geduld. Der FDP-Vize vertrete „in keiner Weise“ die Partei, betont der Innenpolitiker Stadler. CDU fordert klares Wort von Westerwelle. Der Grüne Özdemir spricht von „Doppelstrategie“ der FDP und will Muslime warnen
von ANGELIKA HENSOLTund LUKAS WALLRAFF
Die Reaktion der FDP-Politikerin Hildegard Hamm-Brücher war eindeutig: Die neuesten Aussagen von Parteivize Jürgen Möllemanns seien „reiner Populismus, reine Demagogie und reines Fischen im Trüben“.
Auch bei Max Stadler stieß Möllemanns eigenwillige Interpretation rechtspopulistischer Wahlerfolge als „Emanzipation der Demokraten“ auf Unverständnis. Der innenpolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion sagte der taz: „Ich kritisiere diese Äußerungen, weil sie in keiner Weise die Auffassung der FDP widerspiegeln.“ Stadler betonte, Möllemann sei weder Antisemit noch Rechtspopulist, solche Beiträge aber „gäben seinen Kritikern Nahrung“. Die Debatte über seinen Text sei eine „Gelegenheit“, so Stadler, „dass führende Politiker der FDP klarstellen können, dass Möllemann damit nicht die FDP vertritt“.
Der Unionspolitiker Wolfgang Bosbach wurde deutlicher. „Bisher hat Westerwelle dem Treiben Möllemanns ja mit mehr oder weniger Verständnis zugesehen“, kritisierte der CDU/CSU-Fraktionsvize. „Jetzt muss er sagen, ob Möllemanns Meinung auch die seine ist oder nicht.“ Bosbach selbst zeigte sich über Möllemanns Ansichten empört: „Die Emanzipation der Demokratie kann doch nicht sein, an antisemitische Ressentiments zu appellieren.“ Westerwelle müsse seine Führungsposition innerhalb der FDP jetzt wahrnehmen und klarstellen, ob Möllemann die Parteiposition vertrete oder ob „die sich einfach sagen: Der Möllemann ist halt so, und der hat bei uns Narrenfreiheit.“
Der innenpolitische Sprecher der grünen Bundestagsfraktion, Cem Özdemir, sagte der taz, die FDP fahre eine „geschickte Doppelstrategie“. Dem Parteichef der Liberalen warf er vor: „Westerwelle ist im Hintergrund und lässt Möllemann quasi als Minenhund aussprechen, was er selbst ausprobieren möchte.“ Hans-Dietrich Genscher, Hamm-Brücher und andere altgediente Liberale sind nach Ansicht Özdemirs nur noch dazu da, nach außen Seriosität zu demonstrieren. In Wirklichkeit wolle man von der Welle des Rechtspopulismus profitieren und aus der FDP ein rechtspopulistisches Sammelbecken machen. „Der Parteitagsbeschluss zum Nahen Osten ist für den Zentralrat bestimmt, Möllemann bedient die heimatlosen Rechten, und dann wird eingesammelt.“ Möllemann gehe es weder um die Palästinenser noch um den Nahen Osten. Ihm gehe es nur um die Wahl.
Özdemir kündigte einen offenen Brief an die Muslime in Deutschland an, in dem er an sie appellieren will, „aus ihrer verständlichen Sorge um die Palästinenser im Nahen Osten heraus nicht der FDP auf den Leim zu gehen“. Möllemann hatte verkündet, sein neuer Kollege in der nordrhein-westfälischen FDP-Landtagsfraktion Jamal Karsli solle ihm „persönlich zuarbeiten bei der Aufgabe, 800.000 wahlberechtigte Muslime in Deutschland anzusprechen“.
Wen die FDP sonst noch ansprechen will, verriet Westerwelle in Bild am Sonntag: Ehemalige Wähler der „Republikaner“ zurückzugewinnen sei „ehrenwert und ein Dienst an der Demokratie“.
Angesichts der jüngsten Entwicklung bleibt die altgediente Liberale Hamm-Brücher bei ihrer Drohung, aus ihrer Partei auszutreten. Die Ergebnisse der Sondersitzung des FDP-Präsidiums nannte sie „völlig unbefriedigend“. Das Gremium hatte sich am Freitag einstimmig hinter Möllemann gestellt. Hamm-Brücher nannte die Aufnahme Karslis in die FDP-Fraktion einen „Trick von Herrn Möllemann“. Der FDP-Vize hatte nicht ausgeschlossen, dass Karsli nach einer Bewährungsphase erneut einen Aufnahmeantrag an die FDP stellen könne. „Das ist genau der Punkt, wo die Mehrheit des Präsidiums hätte dringend widersprechen müssen. Das ist die Ursache meiner Enttäuschung.“ Hamm-Brücher kündigte an, sie werde sich mit „echten Parteifreunden“ besprechen, ob sie noch in der Partei bleiben könne.
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