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Abbild des jungen Japans

Getrieben vom Jubel im tobenden Oval, schaffen die japanischen Fußballer mit großer Coolness ein verdientes 2:2 gegen Belgien und nähern sich ihrem ersehnten Ziel, dem Erreichen des Achtelfinales

aus Saitama FRANK KETTERER

Sie haben sich todesmutig in die Schlacht gestürzt wie Kamikazekrieger. Und sie haben gekämpft bis zum Umfallen, wie man das von echten Samurai erwartet. Sie lagen schon am Boden und sind wieder aufgestanden. Sie haben wirklich alles versucht und viel erreicht, wenn auch nicht alles. Und als ihr erstes Spiel bei dieser WM zu Ende gegangen war und an diesem Ende ein 2:2 stand gegen die Fußballer aus Belgien, nahmen die müden Krieger ein letztes Bad in den brüllenden „Nippon, Nippon“-Rufen des tobenden Ovals. Als dann die eben noch tobende Masse bereits wieder brav und friedlich für die U-Bahn anstand, so als ginge es frühmorgens zur Arbeit, trat drinnen Philippe Troussier, der französische Trainer der japanischen Fußballkrieger, vor die Mikrofone und strich noch einmal die Bedeutung dieses Unentschiedens gegen die Belgier heraus. „Ich bin glücklich über diesen Punkt, der ein historischer ist“, sagte Troussier. Bei der ersten WM-Teilnahme vor vier Jahren in Frankreich war bereits nach der Vorrunde und drei Niederlagen Endstadion.

So schlecht können sie diesmal schon nicht mehr sein, und bewiesen hat dieses erste Spiel des Teilgastgebers auch, dass der große Auftrag des Volkes, mindestens das Achtelfinale zu erreichen, so vermessen gar nicht ist. Japan bot gegen Belgien nämlich Fußball moderner Prägung, bisweilen flott im Tempo und von feiner Technik, über weite Strecken nicht schlecht organisiert vorgetragen. Besonders auffällig aber war die Einsatzbereitschaft und Leidenschaft, mit der Troussiers Männer zu Werke gingen und mit der sie auch den 0:1-Rückstand aufholten, für den der Schalker Marc Wilmots per Fallrückzieher gesorgt hatte. Nur zwei Minuten später hatte der flinke Takayuki Suzuki den Ausgleich geschafft, später Junichi Inamoto, der beste Fußballer auf dem Platz, gar die Führung erzielt. Es war die beste Phase der Japaner, in der sie Angriff auf Angriff rollen ließen, und wer weiß, wie alles für sie hätte kommen können, wenn Ryuzo Morioka, das Herzstück der Abwehr, nach 71 Minuten nicht mit einer Fußverletzung vom Feld hätte getragen werden müssen. Drei Minuten später traf Peter van der Heyden zum 2:2.

„Natürlich bin ich auch ein bisschen frustriert“, gab Trainer Troussier zu. Darüber nämlich, „dass wir den Vorteil nicht bis zum Schlusspfiff halten konnten“. Aber das muss wirklich nur einen ganz kurzen Augenblick der Fall gewesen sein, weil der Franzose schon zwei Sätze weiter wieder vom Selbstvertrauen sprach, das der Punkt wachsen lasse und das bei Troussier selbst schon Wirkung zeigte, etwa als der 47-Jährige feststellte: „Japan ist heute Abend der Sieger.“

Moralisch dürfte das allemal stimmen. Und durchaus von Bedeutung für den weiteren Verlauf des Turniers könnte sein, dass die körperlich unterlegenen Japaner gegen Belgien gesehen haben, dass sie auch mit dem körperbetonteren europäischen Fußballstil zurechtkommen, vor allem in der nächsten Begegnung der Gruppe gegen Russland sollte das weiterhelfen, im letzten Spiel gegen Tunesien bräuchten sie dann nur noch einzulochen.

Das freilich ist der wichtigste Punkt von allen: dass neben dem Selbstvertrauen auch die Hoffnung gewachsen ist, die Sache mit dem Achtelfinale tatsächlich realisieren zu können. Und letztendlich geht es dabei nicht nur um die Zukunft bei diesem Turnier, sondern auch um die Zukunft des Fußballs im Lande allgemein. Der war in letzter Zeit nämlich ein bisschen unrund über die Felder der J-League, der japanischen Profiliga, gerollt, auf jeden Fall wollten ihn immer weniger Menschen sehen, Baseball lieben die Japaner ohnehin mehr. Nun soll ein erfolgreiches Abschneiden bei der WM im eigenen Land, wozu alles ab dem Achtelfinale zu zählen wäre, für neue Fußballeuphorie sorgen.

Überschäumend war die Stimmung im Saitama Stadium von Beginn an, und für die ansonsten so reservierten Japaner ist das außergewöhnlich: sich in aller Öffentlichkeit so gehen zu lassen – und echte Fußballatmosphäre in ein Stadion zu zaubern, auch wenn diese nach Schlusspfiff ebenso schnell wieder verebbt. „Das ist das Abbild des jungen Japans“, sagte Philippe Troussier, der französische Trainer, zu dem stimmungsvollen Spektakel – und zu dem jungen Japan gehört es auch, dass es Fußballer verehren kann wie Popstars, der gegen Belgien eher schwächelnde Spielmacher Hidetoshi Nakata ist dafür das beste Beispiel. Nakata trägt nicht nur eine so moderne Frisur wie Englands David Beckham, sondern hat in Japan auch fast einen ähnlichen Starstatus. Das Dumme dabei ist, dass Herr Nakata seinen Beruf längst beim AC Parma ausübt. Auch Junichi Inamoto (Arsenal) und Shinj Ono (Feyenoord Rotterdam), die beiden anderen Stars der Mannschaft, sind im Ausland beschäftigt. Bei der WM kämpfen sie nun gemeinsam um das Wohlergehen des Profifußballs in ihrer Heimat.

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