piwik no script img

Keulen, Feuer und Diabolo

Das „varieté total“ hat das erste Jahr überstanden – als feingeistig-nichtrauchende Alternative zu „Madame Lothár“. Es dominieren die kleinen, charmanten Nummern

Die Kleinkunst feiert in Bremen gerade Geburtstag: „Madame Lothar“ mit viel Tamtam den zehnjährigen, das „varieté total“ ganz bescheiden den ersten. Und die beiden ergänzen sich im Grunde ideal: Wer die eher deftig zotige Abendunterhaltung bevorzugt, kann in die Travestieshow ins Schnoor gehen. Für Feingeister und Nichtraucher ist das Scenario im Viertel die richtige Adresse.

An drei Abenden pro Monat wird hier ein Varieté-Programm geboten, in dem Jongleure, Zauberer, Chanteusen und andere Performer auftreten. Jeden Monat ein ganz anderes Programm. Dieses ist jeweils geschickt ausbalanciert: Auf Komik folgt Poesie, auf Musik Muskelkraft, auf Zauberei Slapstick.

Niemand ist zu lange auf der Bühne. Es gibt auch keine spektakulären Topacts, sondern eher die charmanten, kleinen Nummern. So konnte man hier in diesem Jahr schon Luftakrobatik, Menschenskulpturen, einen Schleiertanz, „Astrobälle“, muskulöse „Bodypaintings“ und Drahtseilakte bewundern. Simone Meyer Heder, die das „Scenario“ betreibt und zusammen mit der Berliner Akrobatin Daniela Franzen die Idee zu dieser regelmäßigen Veranstaltungsreihe hatte, zieht die Bilanz, dass sie bisher mit dem Programm zwar kein Geld verdienen, aber auch keines verlieren würde.

Also eine typische Mischkalkulation, bei der die Tanzkurse, „Tanztees“ und die „Swing und Boogie Bar“ dem „Studio für Bewegung & Kultur“ (so definieren die Betreiber das „Scenario“) wohl das sichere Geld bringen. Inzwischen hätte sich schon so etwas wie eine treue Besuchergemeinde gebildet und die Kontakte zu den verschiedenen Kleinkunstszenen wären inzwischen so gut, dass nun auch schon internationale Künstler gerne kommen würden.

Das aktuelle Programm steht unter dem Motto „Die Welt des Schmachtens“, und für die nötige Schwüle sorgte der Conférencier Andreas Schauder aus Kiel , der mit dem Ausspruch „Ich komm’ ja aus Norddeutschland, da ist das anders als hier“ schon mal die Lokalpatrioten begeisterte und später dann auf Zurufe aus dem Publikum heraus live auf der Bühne eine Spontan-Schnulze komponierte.

Jongleure gab es diesmal gleich zwei: einmal sinnlich mit Bauchtanz und Diabolo von Mika und dann als komische Keulenschwingerei von dem Bremer Talent Janio. Als Parodie auf die mit Goldfarbe angepinselten Stahlkörper in anderen Varietés kamen die beiden Akrobaten „Die Kairos“ mit „gefälschten“ Muskelmassen auf die Bühne und verhoben sich aneinander.

Dann war da noch ein wirklich beängstigend feuriger Feuerschlucker und die Berliner Künstlerin Karina mit poetischen Verwicklungen über den Köpfen der Zuschauer im Vertikaltuch. Eine schöne, abwechslungsreiche und sympatische Show, bei der es das Vergnügen überhaupt nicht schmälert, wenn der Jongleuse mal die Keulen herunterfallen. Überraschungsgäste zum Geburtstag gibt es auch, aber darüber darf ja nichts verraten werden.

Wilfried Hippen

Das Programm ist heute Abend ab 20. 30 Uhr noch einmal im Scenario in der Friesenstraße 16/19 zu sehen, die nächsten Termine sind dann vom 11. bis zum 13. Juli.

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen