AN DIESEM MENSCHENRECHTSBERICHT WIRD ROT-GRÜN GEMESSEN WERDEN: Der lange Weg zu sich selbst
Der gestern vorgelegte Menschenrechtsbericht der Bundesregierung spart kaum ein Thema aus, und man möchte fast jedes Wort unterschreiben. Wenn der Bericht etwa in Bezug auf den Antiterrorkrieg mahnt, es dürfe keinen „Rabatt“ für menschenrechtsverletzende Regierungen geben, nur weil diese sich am Antiterrorkrieg beteiligen, dann ist das eine Forderung, die Friedensbewegung und Menschenrechtsorganisationen schon seit dem 11. September gestellt haben. Die Bemerkungen über den Umgang mit Angeklagten, die Anwendung der Todesstrafe und die Einschränkung bürgerlicher Freiheiten durch „Sicherheitspakete“ sind ebenfalls in Gänze zu begrüßen.
Was die Situation innerhalb Deutschlands angeht, erwähnt der Bericht zwar rassistische ausländerfeindliche Übergriffe, verliert aber kein Wort über die etwas von amnesty international Jahr für Jahr vorgebrachten Klagen wegen der Behandlung Asylsuchender durch Behörden in der Bundesrepublik selbst. International wirken die grundsätzlichen Anmerkungen, dass Menschenrechte und ihre Durchsetzung auch in Krisenzeiten zu gelten haben, wie ein Selbstfindungsprozess der Bundesregierung auf der Suche nach Kriterien für den Antiterrorkrieg – mit ungewissem Ausgang.
Der Bericht legt großen Wert auf die Versuche der Bundesregierung, die Verrechtlichung der internationalen Beziehungen voranzutreiben – etwa durch die Einrichtung des Internationalen Strafgerichtshofs und die Bemühungen um Ratifizierung und Umsetzung menschenrechtlicher Normen. Tatsächlich sind diese Bemühungen anzuerkennen: Selbst auf der Ebene der Europäischen Union spielt die Bundesregierung dabei eine herausragende Rolle. Was sie gleichzeitig nicht daran hindert, gemeinsam mit den anderen EU-Ländern ständig selbst an neuen „Sicherheitspaketen“ zu basteln, die aus menschenrechtlicher Sicht zumindest fragwürdig sind.
Letztlich verdrängen auch für Rot-Grün ökonomische und politische Interessen – etwa im Verhältnis zu China und zu Russland – Menschenrechtsfragen von der Tagesordnung. Insofern: ein guter Bericht, an den die Bundesregierung stets erinnert werden sollte. BERND PICKERT
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