schnittplatz: „Big Issues“ for Germany
Die Straßenzeitungen stecken in der Krise. In Zeiten klammer Kassen und immer aggressiveren Wettbewerbs geht ihnen die Luft aus: Wo in Berlin allen Erklärungen zum Trotz, der „Zeitungskrieg“ um die Hauptstadt sei vorbei, an allen großen Bahnhöfen oft genug gleich zwei eigentlich kostenpflichtige Titel mit Gratisexemplaren um Kundschaft buhlen, kommen Motz und Co. als ganz arme Verwandte daher. Verwandte, die sich auch noch selber Konkurrenz machen.
Der Verkäufersingsang in der U-Bahn, „Meine Damen und Herren, entschuldigen Sie die kurze Störung, ich verkaufe die neueste Ausgabe …“, geht angesichts amüsiert-genervter Fahrgastmienen immer häufiger in ein frustriertes „Ach, da war wohl schon einer“ über.
Der Ruf nach staatlicher Unterstützung kommt im Prinzip sogar erstaunlich spät. Und sollte gehört werden, wenn auch nur für eine Übergangszeit.
Denn ein Gutteil der Misere ist hausgemacht: Durch Kleinstaaterei, Unfähigkeit zur Zusammenarbeit und ein zu stark auf den Faktor Mitleid setzendes Image stehen sich die Projekte oft genug selbst im Wege.
Ein Blick nach Großbritannien zeigt, dass es ganz anders und viel besser geht: Big Issue, die seit rund zehn Jahren existierende landesweite Straßenzeitung, funktioniert quasi als soziales Franchise-Unternehmen. Schon die Londoner Urausgabe wurde von professionellen JournalistInnen als marktfähiges Magazin mit den Themenschwerpunkten Soziales und Kultur konzipiert. Obdachlose fungierten als Verkäufer mit festem Revier: Wildern in fremden Gebieten ist tabu und führt sofort zum Ausschluss aus dem Projekt. Betteln ist verboten.
Seitdem hat sich Big Issue in allen größeren Städte und auch vielen regionalen Gebieten ausgebreitet. Dort übernehmen die jeweiligen Ausgaben Teile der Londoner Zeitung und fügen regionales Material hinzu. Länger existierende Ableger wie der Big Issue Scotland machen längst völlig eigene Blätter, hängen beim Anzeigenverkauf und der Vermarktung aber weiter im Big Issue-Verbund zusammen.
Und das Beste an diesem Konzept: Kopieren und auf Deutschland übertragen ist nicht verboten. STEFFEN GRIMBERG
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen