: Filtern wie Mutter Natur
Ein Forschungsprojekt will herausfinden, wie das Berliner Trinkwasser gereinigt wird, um diesen natürlichen Prozess in eigens zu errichtenden Anlagen weltweit initiieren zu können. Das Projekt ist in Berlin angesiedelt, weil hier viele Experten arbeiten
von RICHARD ROMAN
Was ist eine Zukunftstechnologie? Sie funktioniert seit 100 Jahren, doch niemand weiß genau, wie im Einzelnen: Das ist die Situation in Berlin bei der Gewinnung von Trinkwasser, die größtenteils auf der so genannten Uferfiltration beruht. Deren Prinzip ist im Grunde recht einfach: Das Oberflächenwasser von Seen und Flüssen versickert in der Uferregion und wird im Durchgang durch die verschiedenen Sedimentschichten gereinigt.
Nach diesem Prinzip funktioniert sehr oft und quer über die Welt die chemische und biologische Reinigung von Wasser, das als Trinkwasser gefördert werden kann. In Berlin hat die Uferfiltration eine besondere Bedeutung, denn 70 bis 80 Prozent allen Trinkwassers wird so gewonnen.
„Welche chemischen, biologischen und hydrologischen Prozesse“ bei der Uferfiltration ablaufen, vor allem aber, wie sie zusammenwirken, ist in weiten Teilen unbekannt“, sagt Gunnar Nützmann vom Institut für Gewässerkunde und Binnenfischerei (IGB). Er erforscht deshalb im Rahmen des auf drei Jahre angelegten Forschungsprojektes „Nasri“ (Natural and artificial systems for recharge and infiltration), welches vom Kompetenzzentrum Wasser gefördert wird, zusammen mit der Humboldt-Universität, der Technischen Universität, der Freien Universität, dem Umweltbundesamt sowie dem IGB den genaueren naturwissenschaftlichen Hintergrund dieses Reinigungsvorgangs.
„Am Ende wollen wir nicht nur die Mechanismen besser verstehen, sondern auch über mathematische Modelle und Richtlinien verfügen, die zur Verbesserung existierender Anlagen oder zur Errichtung neuer Anlagen weltweit genutzt werden können“, gibt sich Nützmann hoffnungsvoll.
Die Forscher starten zunächst mit Laborversuchen. Anhand von bis zu zwei Meter langen Säulen, die die Boden- und Sedimentschichten in Berlin modellhaft nachbilden, sollen grundlegende Einsichten gewonnen werden. In der Realität findet die Gewinnung des Berliner Trinkwassers über Brunnen entlang von Havel, Spree sowie den Seen in rund 30 Meter Tiefe statt. Für die Uferfiltration sind der Tegeler See und der Müggelsee am wichtigsten.
Die Untersuchungen an den Säulen werden durch Feldversuche begleitet, die am Tegeler See und am Wannsee stattfinden. Für detailliertere Versuche wird auch die künstliche Uferfiltrationsanlage in Marienfelde, die dem Umweltbundesamt gehört, in das Projekt mit einbezogen. Dort soll das Grundwasser über spezielle Sickerbecken künstlich angereichert werden. „Das Prinzip ist das gleiche wie bei der Uferfiltration, nur können wir die Parameter in dieser künstlichen Konstellation genauer kontrollieren und beeinflussen“, so Nützmann.
Dass dieses Forschungsprojekt in Berlin stattfindet, ist kein Zufall, so der IGB-Mitarbeiter. Denn Berlin weise eine besonders hohe Dichte an Experten auf diesem Gebiet auf. Mit der hiesigen Situation der Trinkwasserversorgung habe das wenig zu tun, denn diese sei anders als in vielen Regionen der Welt gut. Dennoch dürfe man die Hände nicht in den Schoß legen, denn in den letzten 100 Jahren – so lange wird in Berlin Trinkwasser über Uferfiltration und künstliche Gewässeranreicherung gewonnen – habe sich vieles verändert. So müsse man heute organische Stoffe, Arzneimittelrückstände, Pflanzenschutzmittel und anderes mehr bei der Gewinnung von Trinkwasser berücksichtigen. „Auch Klimaveränderungen können die Reinigungsmechanismen beeinflussen“, so der Forscher.
Die Forschungsergebnisse würden nicht nur teilweise weltweit übertragbare Erkenntnisse ermöglichen, sondern auch helfen, den Schutz der heimischen Gebiete, die für die Trinkwassergewinnung wichtig sind, zu stärken. In der Hauptstadt ist dies das Berlin-Warschauer Urstromtal, das im Verlauf der Eiszeit vor 10.000 Jahren entstanden ist. Das dort befindliche Grundwasser sei von „hoher Qualität“, so Nützmann. Um es zu schützen, wurden deshalb in der Vergangenheit Wasserschutzgebiete festgelegt. In diesen sind bestimmte Nutzungen oder Handlungen je nach Entfernung von den Brunnen vollständig verboten oder nur mit einer besonderen Genehmigung erlaubt.
Genehmigungsfrei ist dagegen der Genuss des Berliner Trinkwassers für alle Altersgruppen. Denn die gute Qualität macht das Wasser selbst für die Säuglingsernährung geeignet. Das Berliner Wasser hat einen Nitratgehalt von unter 5,8 mg/l, der ph-Wert liegt zwischen 7,3 und 7,5. Es ist, wenn es aus der Leitung fließt, ungechlort und hat einen hohen Calcium- und Magnesiumgehalt, weshalb es in die Klasse „hart“ oder „sehr hart“ gehört.
1856 nahm das erste Berliner Wasserwerk seinen Betrieb auf. Es lag an der Straße nach Köpenick, unmittelbar vor dem Stralauer Tor. Statistisch gesehen verbraucht jeder Berliner pro Tag 125 Liter, wobei der Verbrauch in den letzten Jahren gesunken ist.
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