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fernöstlicher diwanIrland out, aber, viel schlimmer, England noch drin

Sitting in an Irish pub

Nun geht das Theater wieder von vorne los. Nach dem Elfmeterkrimi, der mit einer irischen Achtelfinal-Niederlage gegen Spanien endete, fragt man sich auf der Grünen Insel: Wäre das mit Roy Keane auch passiert? Natürlich nicht. Mit Keane wäre das irische Team doppelt so stark und damit unbesiegbar gewesen. Schade nur, dass er kurz vor Beginn der Weltmeisterschaft den Trainer Mick McCarthy als „Scheißspieler, Scheißtrainer und Scheißwichser“ beschimpft hat. Der nahm das persönlich und schickte Keane nach Hause.

RALF SOTSCHECKS WM

Mein Spieler: Damien Duff – der beste Linksaußen seit George Best, der seine Gegner schwindlig spielt.

Mein Team: Irland – wenn sie nun vier Jahre lang Elfmeter üben, kommen sie 2006 ins Endspiel.

Mein Weltmeister: England – in der Hoffnung, dass ich auch mit diesem Tipp falsch liege.

Ein grober Fehler, meint Eamon Dunphy, ein Sportreporter, der seit 1978 im irischen Fernsehen die Fußballspiele analysieren durfte. Er hoffe, so sagte er vor der ersten Begegnung, dass Irland gegen Kamerun, Deutschland und Saudi-Arabien hoch verlieren werde, damit McCarthy in die Wüste geschickt und Roy Keane zurückgeholt werde. Das verübelte ihm die Nation. Tausende Menschen riefen beim Fernsehsender an und forderten Dunphys Kopf, die Boulevardzeitungen erfanden tagelang immer neue Schimpfworte für den früheren Nationalspieler. Vorige Woche warf der Sender ihn hinaus, weil er morgens sternhagelvoll zur Arbeit erschienen war und das Spiel nicht kommentieren konnte. Es ist vermutlich das erste Mal, dass ein Sportreporter der meistgehasste Mann des Landes ist. Dem Verkauf seines Buches wird es nicht schaden: Dunphy hat die offizielle Roy-Keane- Biografie verfasst.

Die Mannschaft kann mit einem Triumphzug rechnen, wenn sie nach Irland zurückkehrt, denn ohne Roy Keane hatte man ihr nichts zugetraut. Wenigstens kehrt jetzt wieder Normalität ein in Irland. Die gesamte Insel war zwei Wochen lang im Fußballrausch, im Frühjahr hatte es sogar eine Demonstration vor dem Parlament gegeben. Die Forderung: Die irischen Arbeitszeiten sollten für den Juni an die japanischen angepasst werden, weil man nach dem Abendessen morgens um sechs in den Pub wollte, um die Spiele zu sehen. Die Regierung lehnte ab, und so machten die Firmen ausgedehnte Mittagspausen. Vorgestern erschienen die Zeitungen mit großen Anzeigen von „Dublin Bus“, der staatlichen Busgesellschaft. „Wir gehen davon aus, dass heute um die Mittagszeit niemand Bus fahren möchte“, hieß es. „Falls aber doch jemand fahren will, rufe er bitte folgende Nummer an. Wir schicken dann einen Bus.“

Schlimmer noch als die irische Niederlage ist die ungewohnte Erfolgsserie des englischen Teams, sodass man bisher gar keine Gelegenheit hatte, das Volkslied zu singen, das bei Englands erbärmlichem Auftritt bei der Weltmeisterschaft 1994 entstanden ist: „Sitting in an Irish bar watching England losing.“ Es ist ein melancholisches, aber sehr sarkastisches Lied. Ein kleiner Trost bleibt den Iren allerdings: Nach der dänischen Niederlage gegen England müssen sie nicht mehr die Visage des rassistischen Dänentrainers Morten Olsen ertragen, der bei den Schwarzafrikanern ein Brutalitätsgen ausgemacht hat. „Ach, hätten wir ihnen doch bloß nicht das Fußballspielen beigebracht“, lamentierte Olsen.

Die Engländer verstehen die irische Abneigung übrigens nicht. Vorige Woche fragte Johnny Vaughan in seiner englischen Fernseh-Talkshow den irischen Schauspieler Ardal O’Hanlon, der durch seine Rolle als depperter Pfarrer in der Serie „Father Ted“ berühmt wurde: „Kannst du uns eine brennende Frage beantworten? Während wir Engländer uns über jeden irischen Sieg riesig freuen, mögen uns die irischen Fans hingegen gar nicht. Warum ist das so?“ Das wollte das Publikum auch wissen: „Genau“, setzte ein kollektives Gemurmel ein, „warum eigentlich?“ O’Hanlon antwortete: „Ach, weißt du, Johnny, das hat möglicherweise mit den 500 Jahren Unterdrückung zu tun, die ihr unserem Volk angetan habt, und vielleicht auch mit der Tatsache, dass ihr immer noch sechs unserer Grafschaften im Norden besetzt haltet.“ O’Hanlons Erklärung löste Totenstille im Publikum aus, lediglich ein einzelner Herr sprang auf und klatschte, so laut er konnte. Es war vermutlich ein irischer Emigrant.

RALF SOTSCHECK

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