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Gutes Deutsch ist zu teuer

Die Sprachkurse für nichtdeutsche Mütter sind in Gefahr. Land und Bezirke loben die erfolgreiche Maßnahme an den innerstädtischen Grundschulen – bezahlen dafür aber wollen beide nicht

von SABINE AM ORDE

Gerade noch wurden sie hoch gelobt: die „Mütterkurse“, wie der Deutschunterricht für nichtdeutsche Mütter an den hiesigen Grundschulen heißt. Denn nur mit Hilfe der Eltern, da sind sich Politiker und Praktiker einig, kann die Sprach- und Bildungsmisere nichtdeutscher Kinder behoben und die Integration gefördert werden. Doch jetzt ist die Finanzierung dieser Kurse gefährdet. Das geht aus einer Stellungnahme des Senats hervor, die der taz vorliegt. Die notwendigen Mittel für die Kurse sind im Landeshaushalt für das Jahr 2002/2003 nicht vorgesehen.

„Es wird auf Senatsebene angestrebt“, heißt es in der Stellungnahme, „das bestehende Angebot sowie gegebenfalls eine Ausweitung der Maßnahme im Rahmen des bezirklichen Wertausgleichsmodell finanziell abzusichern.“ Im Klartext heißt das: Wie bisher sollen die zwölf Bezirke zahlen. Doch die wollen nicht mehr. Ihr Argument: Bei den Kursen handele es sich um eine landesweite Aufgabe, die auch vom Land bezahlt werden muss.

Die Mütterkurse, ein Ergebnis der Innenstadtkonferenz, wurden 1999 vom Senat eingeführt. Seitdem bieten Volkshochschulen in Kreuzberg, Schöneberg, Tiergarten, Neukölln und Wedding Sprachkurse für nichtdeutsche Eltern an den Schulen ihrer Kinder an. Die Kurse, die während der Unterrichtszeit der Kinder stattfinden, gelten aus Sicht aller Beteiligten als enorm erfolgreich. Sie erreichen Frauen, die sonst keinen Deutschkurs besuchen würden. Im vergangenen Jahr haben die Volkshochschulen fast 300 Mütterkurse mit 4.500 Teilnehmerinnen durchgeführt.

Auf dem Papier sehen das die rot-rote Koalition und der Bildungssenator Klaus Böger (SPD) auch so. In der Koalitionserklärung wurde angekündigt, Rot-Rot wolle „ die finanzielle Absicherung und den Ausbau der bewährten und erfolgreichen Mütterkurse mit dem Ziel, weitere Grundschulen und Innenstadt-Kitas in das Programm aufzunehmen“. Das sei im aktuellen Doppelhaushalt nicht möglich gewesen, sagte Bögers Sprecherin Rita Herrmanns. „Das war ein Sparhaushalt.“ Dennoch gelte der Koalitionsvertrag: „Wir werden das Modell in dieser Legislaturperiode ausweiten.“ Jedoch nicht vor 2004. Bis dahin sollen die Bezirke zahlen. Verhandlungen darüber, so Hermanns, führe derzeit die Finanzverwaltung.

Bislang sind alle Bezirke durch einen so genannten Wertausgleich an der Finanzierung beteiligt, egal ob in ihren Volkhochschulen die Kurse angeboten werden oder nicht. „Die reinen Geberbezirke sind damit nicht mehr einverstanden“, sagt der Neuköllner Bildungsstadtrat Wolfgang Schimmang (SPD). Der Rat der Bürgermeister habe deshalb beschlossen, dass eine neue Finanzierung über das Land notwendig sei. In Neukölln haben im vergangenen Jahr 2.400 Mütter an den Sprachkursen teilgenommen, gekostet hat das den Bezirk 660.000 Euro. Die Hälfte davon kam aus den anderen Bezirken. „Wenn dieses Geld nicht mehr fließt, müssen wir das Angebot reduzieren“, sagt Schimmang. „Aber das wäre absolut schwachsinning.“ Ähnlich sehen es die Grünen. „Die jüngste Sprachstanderhebung hat in aller Deutlichkeit die Sprachdefizite aufgezeigt“, sagte deren bildungspolitischer Sprecher Özcan Mutlu. „Und die Mütterkurse sind ein wichtiges Gegenmittel.“

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