piwik no script img

Knapper Ausgang der Wahl in Bolivien

Nach Hochrechnungen liegt der liberale Expräsident Sánchez de Losada vorn und erklärt sich zum Sieger

PORTO ALEGRE taz ■ Die Präsidentschafts- und Parlamentswahlen in Bolivien haben keinen eindeutigen Sieger hervorgebracht. Nach drei Hochrechnungen vom frühen Montagmorgen liegt mit rund 22 Prozent überraschend der liberale Expräsident Gonzalo Sánchez de Lozada („Goni“) vorn, der sich gestern zum Sieger erklärte. Dichtauf folgte der Populisten Manfred Reyes (21 Prozent) und der linke Sprecher der Kokabauern, Evo Morales, der auf etwa 17 Prozent kam. Auf den Sozialdemokraten Jaime Paz Zamora entfielen 16 Prozent.

Der bisherige Favorit, Populist Reyes, musste mehrere bittere Pillen schlucken. In Cochabamba, der drittgrößten Stadt Boliviens, wo er von 1993 bis 2001 Bürgemeister war, siegte Morales. Bei den Senatswahlen könnte Reyes „Neue Republikanische Kraft“ sogar hinter Morales’ „Bewegung für den Sozialismus“ (MAS) landen. Deutlich vorne lag hier Sánchez de Lozadas „Nationalistisch-Revolutionäre Bewegung“ (MNR). Senat und Repräsentantenhaus bilden zusammen das Parlament. Bei den Wahlen zum Repräsentatenhaus lagen bei Redaktionsschluss noch keine Ergebnisse vor.

Bis zum 6. August muss der neue Präsident von einer deutlichen Mehrheit der 27 Senatoren und 130 Repräsentanten gewählt werden. Bis dahin stehen Koalitionsverhandlungen an, bei denen trotz Sánchez de Lozadas Führung jene Kräfte die Oberhand behalten könnten, die sich für eine Abkehr von neoliberalen Wirtschaftsrezepten einsetzen.

Für den bündniserfahrenen Sozialdemokraten Paz Zamora, der lange mit Exdiktator Hugo Banzer paktiert hatte, ist Intimfeind Goni ein „Klon von Domingo Cavallo“, dem ehemaligen Wirtschaftsminister. Populist Reyes dagegen komme zwar aus dem konservativen Lager, aber er habe sich als Bürgermeister von Cochabamba ein „soziales Gewissen“ angeeignet. Eine Schlüsselrolle bei den Verhandlungen könnte Morales zufallen. Der hat zwar vor der Wahl feste Koalitionen ausgeschlossen. Doch nach seinem Überraschungserfolg meinte er selbstbewusst: „Wenn wir nicht im Parlament zu unserem Recht kommen, gehen wir auf die Straße.“

Der 42-jährige Aymara-Indígena hat seinem Aufstieg dem Widerstand gegen den „Drogenkrieg“ zu verdanken, den der kürzlich verstorbene Hugo Banzer und sein Nachfolger Jorge Quiroga auf Geheiß der USA in der Urwaldregion Chapare durchgesetzt haben. Anfang 2001 wurde dort zur Vernichtung der Kokafelder eine vollständig von den USA finanzierte Einsatztruppe aus 1.500 ehemaligen Soldaten stationiert. Seit 1997 ging die Kokaanbaufläche von 320 auf rund 10 Quadratkilometer zurück.

Landesweit soll die Kokainproduktion von 286 Tonnen (1989) auf 12 Tonnen im letzten Jahr gefallen sein. Doch funktionierende Alternativen für die Kokabauern wurden nicht entwickelt, und so wehrten sie sich mit Streiks und Straßenblockaden gegen die Vernichtung ihrer Felder. Dabei wurden in den letzten fünf Jahren fast 90 Menschen getötet. GERHARD DILGER

kommentar SEITE 10

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen