: Schrill wie nirgends
Die Parade zum Kölner Christopher Street Day zeichnet sich durch allgemeine Liebe der Heteros zum Sommerkarneval der Homos aus: Selbst Oberbürgermeister Schramma (CDU) ist ganz bei der Sache
von PASCAL BEUCKER und ULRIKE ANHAMM
Gerne hätte er ihn dabeigehabt. Doch sosehr sich der grüne Kommunalpolitiker auch bemühte – selbst nach dem zehnten Kölsch wollte Claude-Oliver Rudolph nicht dabei sein. „Ich bin doch keine Schwuchtel“, beschied der James-Bond-Bösewicht auf die Anfrage, neben Claudia Roth & Co. auf einem der beiden von der Ökopartei gecharterten CSD-Wagen mitzufahren.
Was immer Rudolph auch sein mag: Kölner ist er jedenfalls nicht. Denn sonst hätte er die Einladung angenommen. Nicht weil sie von Grüns kam, sondern weil in Köln manches anders und vieles andersrum ist.
Natürlich wird es auch dieses Jahr wieder ein CSD der Superlative: so schön wie nie und nirgends. Das muss so sein in Köln, der „schwulsten Stadt Deutschlands“ – und inzwischen auch fast der „lesbischsten“. Dort, wo die Rosa Funken am Rosenmontag Stippeföttche tanzen und jecke Lesben auf ihren Karnevalssitzungen schunkeln. Was hat schon Berlin – außer Wowereit?
Eigentlich aber hat sich nichts geändert und ist immer noch wie vor sieben Jahren: minderjährige Gymnasiasten neben bierbäuchigen Mittfünfzigern, schicke Föhnwunder Seit an Seit mit Stiefelknechten. Immer noch kommen sie aus Recklinghausen, aus Bottrop oder Paderborn, aus Homburg, Hamburg oder von der Schwäbischen Alb – in letzter Zeit übrigens auch desillusioniert aus Berlin.
„Köln und das Schwule – ihr Traum“, schrieben einst zwei Diasporahomos, die von der Alster einen Trip zum CSD in die Metropole machten und glänzende Laune bekamen. „In diesem mittelalterlichen Rheinmetropölchen wagt man sich mit dem eigenen Lebensentwurf leichter an die Öffentlichkeit.“ Dabei ist es eigentlich so wie in dem Schlager von Stephan Runge, der immer noch jeden Abend in diversen Schuppen läuft: „Leben kann man überall, doch für uns – auf jeden Fall – ist Köln der geilste Arsch der Welt!“
Nur breiter ist er mittlerweile geworden. War noch vor einigen Jahren ein Stadtteil wie Ehrenfeld das von Schwulen und Lesben meistbegehrte Wohnviertel, ist es heutzutage fast egal, wo man oder frau wohnt. Es muss ja nicht unbedingt in Chorweiler oder neben den Fussbroichs sein. Inzwischen darf es sogar gerne auch die andere Rheinseite sein; Deutz hat sich zum heimlichen Wohnmekka der Schwulen und Lesben entwickelt – es ist zwar die „schäl Sick“, aber es können ja nicht alle auf der richtigen Rheinseite leben. Szene gibt es fast überall – nur karg düster sieht sie aus. Das Personal, in welchem Geschäft auch immer, ist sowieso vorwiegend homosexuell, selbst der schlichte Kiosk mit Bockwurst und Kaffee, zum Beispiel in der Rubensstraße, ist in lesbischer oder schwuler Hand.
So wehen denn mittlerweile auch nicht nur auf dem Alter Markt, im Homo-Bermudadreieck und nicht nur zur CSD-Zeit die Regenbogenfahnen. Ein Gang beispielsweise durch die Ehrenstraße, eine der wichtigsten Einkaufsmeilen Kölns, wird zu einem komplett homosexuellen Einkaufserlebnis. Sogar heterosexuell geführte Bäckereien buhlen mit Regenbogenaufklebern um die anders orientierte Kundschaft.
Denn inzwischen haben auch sie erkannt, dass ihnen die Homos gut tun: Die Kölner Homoszene ist solvent, geprägt von Berufstätigen und Yuppies, nicht von Studierenden und Ost-West-Geschädigten wie Berlin. Intellektuelle Diskurse sind am Rhein erlaubt, aber nicht Pflicht – und klingen, nebenbei, auf Kölsch viel weniger messerscharf.
Noch Mitte der Neunzigerjahre erregte es Aufsehen, dass die Grünen Volker Beck und Volker Bulla als ihr schwules Dreamteam für Bundestag und Stadtrat plakatierten. Diese Zeiten sind vorbei. Vor zwei Jahren kämpften im Oberbürgermeisterwahlkampf auch die Kandidatin und der Kandidat der beiden großen Parteien verbissen um die schwul-lesbische Klientel: Während Sozialdemokratin Anke Brunn mit einem Aufruf von Schwulen und Lesben zu punkten versuchte, schaltete der Unions-Anwärter Fritz Schramma eine Anzeige mit dem Slogan „Köln ist weder schwarz noch rot, sondern bunt“ im Homomagazin Queer und kündigte an, er werde Köln zur „Hauptstadt der Homosexuellen“ machen.
Als Oberbürgermeister half Schramma tatsächlich mit, den Europride, das europäische Homofestival, nach Köln zu holen. Kurzum, bei uns sind sogar Konservative irgendwie anders. Das war Schramma seinem Koalitionspartner ohnehin schuldig. Denn auch die FDP hat ein offen schwules „Dreamduo“: Fraktionschef Ralph Sterck, der sich pünktlich zum Wahlkampf outete, und Ratsgeschäftsführer Ulrich Breite.
Wobei der Europride ohnehin gut ins Bild passt, das der Kölner an sich von sich hat: Weltoffen und liberal will er sein. Auf Kölsch heißt das: „Jeder Jeck is anders.“ Da gilt dann in der Frage der sexuellen Orientierung das Gleiche wie für Kölsch-Marken: Man hat Auswahl. Und das macht sich prächtig im Verhältnis zur verpönten Althochburg Düsseldorf, wo der dortige Oberbürgermeister – wie Schramma von der Union – noch unbekümmert seine Homophobie ausleben kann: „Wir müssen kein Highlight für rosa Internetseiten sein.“
In Köln hingegen wird die Homoszene einfach eingemeindet. Schließlich passen in der Subkultur gelernte Eigenschaften hervorragend zur kölschen Mentalität – zum Beispiel das Bilden von Seilschaften. Was andernorts mit Worten wie „Filz“ negativ klingt, ist in Köln mit dem Begriff „Klüngel“ verbunden – und keineswegs verpönt.
Eine exklusive Männerangelegenheit, dieses Klüngeln? Ach was. Auch die einheimischen Lesben wissen, dass es ohne nicht geht: Nach dem Motto „Lesbencäsch in Lesbentäsch“ gründeten sich 1994 die „Amigas“, das Netzwerk lesbischer Unternehmerinnen und Freiberuflerinnen. „Wir geben unser Geld gerne bei Lesben aus und sorgen dafür, dass immer mehr Lesben miteinander ins Geschäft kommen – als Auftraggeberinnen, Kundinnen und Fachfrauen.“
Rund vierzig „Amigas“ engagieren sich für lesbische Unternehmenskultur in Köln, Bonn und Umgebung. Die Gründungsmitglieder Anni Hausladen und Gerda Laufenberg haben übrigens das Buch „Die Kunst des Klüngelns“ publiziert. Dass auch die Schwulen hier ihren eigenen Unternehmerverband haben – ist doch selbstverständlich.
FDP-Mann Breite ist übrigens nebenbei auch noch Vorsitzender des SC Janus e. V. Köln, des ersten Sportvereins für Schwule und Lesben in Europa. Benannt nach dem altrömischen Schutzgott des Hauses und unter dem Motto „Erfrischend anders seit 1980“, hat der Club heute über 750 aktive Mitglieder und gehört zu den hundert größten Sportvereinen in Köln. Gleichzeitig ist er die größte lesbisch-schwule Organisation der Rheinmetropole. Der SC Janus verfügt mittlerweile über rund zwanzig verschiedene Abteilungen – von den „Pink Poms“, den Cheerleadern, bis zu den Fußballerinnen der „Unity Pirates“, dem ersten und bislang einzigen offenen Lesbenteam im DFB.
Die Wahrheit ist doch: Wenn es um Schwules und Lesbisches geht, war Köln stets die Frontstadt. Ein Beispiel? In der Hochburg des rheinischen Katholizismus bildete sich der erste deutsche Lesben- und Schwulenverein. Nach amerikanisch-britischem Vorbild gründeten einige Jungs die Gay Liberation Front (glf). Ihr erstes öffentliches Treffen fand Ende 1971 in den Räumen einer anderen örtlichen Minderheit statt: der Evangelischen Studentengemeinde.
Nach einem der glf-Aktivisten ist seit zwei Jahren in Köln ein Platz benannt: Jean-Claude Letist. Eigentlich war der gebürtige Belgier 1968 als 22-Jähriger nur an den Rhein gekommen, um seine Deutschkenntnisse zu verbessern. Dann blieb er irgendwie hier hängen und wurde zu einem der bemerkenswertesten Protagonisten der frühen Homobewegung. Seinen französischen Akzent verlor er indes nie. Nicht wenige der verdienten Kämpfer aus der guten alten homophoben Zeit haben Letists Stimme bis heute im Ohr: „Dann machen wir eine Agsion!“
Ob bei der Gründung des „Schulz“, heute eines der größten Lesben- und Schwulenzentren Europas, oder der Aidshilfe – Letist war dabei. Nebenbei war er auch noch aktives Mitglied vom „Club für Bartmänner, Bären und Jäger“ – man gönnt sich ja sonst nichts.
Auch als 1982 der erste schwule Buchladen Kölns aufmachte, durfte er nicht fehlen. Das „Lavendelschwert“ wurde nach einem 1966 erschienenen Buch des Kölner Journalisten und Schriftstellers Felix Rexhausen benannt, in dem er satirisch Dokumente einer fiktiven schwulen Revolution im Adenauer-Deutschland zusammenstellte.
Die heterosexuellen Kölnerinnen und Kölner sind, das sei zu ihrer Ehre angenommen, schon ein wenig stolz auf „ihre“ Homos. Schließlich hat der CSD Dimensionen angenommen, die es mit gewöhnlichem Karneval aufnehmen können. Und so kann es vorkommen, dass gut vorbereitete Heteros mit Camcorder, Campingstuhl und Cola beim CSD weit vor den in der Regel schlecht vorbereiteten BesucherInnen von „auswärts“ die besten Plätze am Rande des Umzugs besetzen.
Mal ehrlich: Freuen sich Städte wie Berlin oder Bielefeld so richtig über den alljährlichen CSD? – Wir sehr! Und so lebt und arbeitet es sich prima in Köln. Selbst katholische Gemeinden bieten höchst provokante und reichlich homosexuelle Ausstellungen an; der Austausch zwischen denen vom einen und denen vom anderen Ufer funktioniert bestens. Und beichten kann man dann ja immer noch.
PASCAL BEUCKER, 35, ist taz-Korrespondent in Nordrhein-Westfalen und lebt in Köln. ULRIKE ANHAMM, 41, ist Herausgeberin des Lesbenmagazins lespress und Verlegerin der DHIVA , der Zeitschrift des Netzwerks Frauen und Aids
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