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berliner szenen Baustelle Alexanderplatz

Dämonen

Schön ist der Alexanderplatz nicht. Menschen mit tragbaren Grillstationen bieten Bratwürste an und konkurrieren mit blassen Teenagern, die Handzettel verteilen, um die Gunst eines Publikums, das die touristische Uniform aus Klett-Sandalen und Fotoweste trägt – oder sich stilsicher an den Modetrends der späten Achtzigerjahre abarbeitet. In den Schaufernstern der auf Prepaid-Karten spezialisierten Handy-Shops im Erdgeschoss des S-Bahnhofs setzt sich diese Ästhetik des Dürftigen ins Zeitgemäße fort und findet auf der gegenüberliegenden Seite im Schriftzug der Burger-King-Filiale zuletzt ihre zeitlose Signatur.

„Hier trifft man sich“, verkündet das Schild einer düsteren Kneipe, dem selbst ernannten „Szene-Treff“ nahe den von Ratten bevölkerten Rosenbeeten im Schatten des Fernsehturms. Doch weder hier noch unter der Weltzeituhr trifft man sich gerne. Eher eilt man sich, das Areal so schnell wie möglich wieder hinter sich zu lassen. Den wohligen Schauer, der mit diesem Fluchtreflex einhergeht, hat Ernst Jünger in einer Bemerkung zum Alexanderplatz der Zwanzigerjahre beschrieben. Nicht die Boulevards, sondern die offenen Flächen machten für ihn den abenteuerlichen Reiz einer Großstadt aus: „Auf einem Platz entsteht leicht der Eindruck des Unentrinnbaren. Da ist kein Fortschreiten, sondern das Kreisen um einen Mittelpunkt, an dem der Dämon wacht.“ Nach der anstehenden architektonischen Generalüberholung des Alexanderplatzes wird sich auch dieser Dämon in den schattigen Gassen verlieren, die zwischen den Bürotürmen und Shoppingsmalls verlaufen sollen. Der Alexanderplatz mag danach schöner sein als jetzt. Berlin jedoch wird nicht mehr, sondern weniger Großstadt sein. KOLJA MENSING

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