: Darüber reden gehört sich nicht
In Malawi ziehen freie Theatergruppen über Land und zeigen den Menschen, wie sie sich gegen den HI-Virus schützen können
aus Nkhotakota/MalawiPETER TILL BAUMANN
Ein Mann kommt nach Hause. Den Körper auf einen Stock gestützt, klopft er an die Tür des Hauses, das er Jahre zuvor verließ. Ein keuchender Husten lässt seinen Körper erzittern. Die Frau, mit der er früher zusammengelebt hat, öffnet die Tür. Er gesteht ihr, dass er sie vor Jahren wegen einer anderen Frau verlassen hat. Jetzt ist er krank. „Das ist dein Problem, ich werde dir nicht helfen. Du hast mich und deine Kinder sitzen gelassen“, entgegnet sie schroff. „Jetzt, wo es dir nicht gut geht, bittest du mich um Hilfe? Geh doch zu der anderen Frau!“ Das kann er nicht, denn die ist gerade gestorben. Wie ihr ehemaliger Ehemann, der so viel arbeitete und so gesund aussah, dass niemand auf die Idee kam, er könne HIV-positiv sein. Auch sein Nachfolger nicht, der die Chance ergriff, die Witwe erfolgreich umwarb und seine Ehefrau verließ, die Frau, vor der er jetzt wieder steht, schwach und zitternd – an Aids erkrankt.
Das Publikum auf dem Hof des Krankenhauses St. Anne’s in der kleinen Stadt Nkhotakota in Malawi folgt gebannt der Darbietung der Theatergruppe des Krankenhauses. Die meisten sind PatientInnen oder deren BesucherInnen, und viele kennen ähnliche Geschichten: Ein Ehemann stirbt an Aids und hinterlässt eine HIV-infizierte Witwe. Die Todesursache wird nicht öffentlich gemacht, denn das gehört sich nicht. Die Frau sieht gesund aus, es gibt keinen Grund zur Sorge. Bis sie schließlich nach einer erneuten Heirat an Aids stirbt und ihrem Witwer klar wird, dass auch er sich mit dem HI-Virus infiziert haben muss.
Malawi ist eines der am stärksten von HIV/Aids betroffenen Länder in Afrika. Nach UN-Schätzungen sind in dem kleinen Land im südlichen Afrika 16,2 Prozent der 15- bis 49-Jährigen HIV-infiziert. Pro Jahr gibt es in Malawi 70.000 neue Aidswaisen. Der durch Krankheit, Pflege kranker Verwandter und Teilnahme an oft tagelangen Beerdigungsfeiern entstehende Arbeitsausfall wirkt sich auf die landwirtschaftliche Produktivität aus. „Wir verbringen mehr Zeit mit der Pflege der Kranken als mit der Pflege des Bodens“, berichtet ein Landarbeiter einem Forschungsteam der Welternährungsorganisation FAO.
Wenn die St. Anne’s Drama Group nicht im eigenen Krankenhaus auftritt, ist sie in den umliegenden Dörfern unterwegs. Es gibt viele solche Gruppen in Malawi. Für ihre Mitglieder ist Theater eine Möglichkeit, sich mit Aids auseinanderzusetzen. Häufig spielen die Gruppen Situationen nach, die sie selbst erlebt oder von denen sie gehört haben.
„Es gibt verschiedene Möglichkeiten, Informationen zu HIV und Aids zu verbreiten“, sagt Boston Mkhosi von der Theatergruppe Manyanda. „Wir haben uns für Theater entschieden, weil wir in den Aufführungen die Möglichkeit haben, uns direkt mit dem Publikum auszutauschen. Wir können ihre Fragen gleich beantworten.“ Sein Freund und Kollege Elias Chimbalu ergänzt: „Wir glauben, dass unsere Botschaft besser ankommt, wenn die Leute gleichzeitig unterhalten werden.“
Unterhaltsam sind sie in der Tat: Gelächter kommt immer wieder unter den Hunderten von ZuschauerInnen auf, die sich an diesem heißen Samstagnachmittag kreisförmig um die beiden Männer postiert haben. Boston Mkhosis und Elias Chimbalus Stimmen sind vielen aus dem Radio bekannt. Die beiden kommen nicht aus dörflichen Theatergruppen, sondern sind Schauspieler aus Malawis Hauptstadt Lilongwe, wo die Sargproduktion einer der florierendsten Geschäftszweige ist. Vor einiger Zeit starb Boston Mkhosis Schwester an Aids. „Die Krankheit ist unter uns“, sagt Elias Chimbalu. „Viele Künstler sind gestorben. Fast jeder Künstler in Malawi hat einen Bruder oder eine Schwester verloren.“
Als ausgebildete Schauspieler sind Elias Chimbalu und Boston Mkhosi eher die Ausnahmen unter denen, die in Malawi zu Aids Theater machen. Die meisten Truppen bestehen aus Laienschauspielern. Theaterhäuser mit Spielplan und Ensemble gibt es in Malawi nicht, und so finden die Aufführungen im öffentlichen Raum statt: auf Dorfplätzen und Fußballfeldern, neben Märkten und in Kirchen und Schulen. Sie stoßen auf regen Zuspruch in einem Land, wo die Analphabetenrate bei 56 Prozent lieg, wo es keine Kinos gibt, Fernseher Mangelware sind und Radios nur dann funktionieren, wenn Geld für Batterien da ist.
Die meisten Gruppen haben ein großes Problem: der mangelnde Zugang zu Informationen. Das Wissen vieler Gruppenmitglieder über Aids, ob sie HIV-positiv sind oder nicht, ist meist nicht größer als das ihres Publikums. Das wird dann schwierig, wenn – wie meistens – die Aufführungen den Auftakt für lebhafte Diskussionen bilden. Viele Theatergruppen machen die Erfahrung, Fragen aus dem Publikum nicht beantworten zu können. „Manchmal“, so ein Mitglied der Chitedze HIV/AIDS Awareness Group, „empfinden wir uns wie ein Blinder, der einen anderen Blinden führt.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen