: Kein Problem für Börsig
Wenn Männer einen „typisch weiblichen“ Beruf ergreifen, haben sie meist schon eine andere Berufsausbildung hinter sich. Doch dieser Umweg gereicht ihnen nicht zum Nachteil. Denn auch in Frauenberufen machen Männer schneller Karriere
von ANGELIKA HENSOLT
„Guten Morgen, Herr Doktor!“ Mit diesen Worten betritt eine ältere Dame eine Arztpraxis in Berlin-Kreuzberg und stellt sich an die Empfangstheke. „Der Doktor kommt gleich. Ich bin der Arzthelfer“, entgegnet Hubert Börsig freundlich. Die Patientin scheint etwas irritiert. „Das passiert mir ständig“, erklärt Börsig. „Dass Männer in weißen Kitteln auch Krankenpfleger oder Arzthelfer sein können, ist für viele noch ungewohnt.“ Auch Kosmetikerazubi Thomas Fiebig erntet regelmäßig irritierte Blicke, wenn er eine Kundin auf die Kosmetikliege bittet.
Verständliche Reaktionen. Schließlich arbeiten Fiebig und Börsig in Branchen, in denen man höchst selten auf Männer trifft: Der Kosmetikerazubi ist einer von 2,3 Prozent Männern in seinem Beruf, der Arzthelfer einer von gerade mal einem halben Prozent. Vorurteile gegen solch atypische Exemplare sind da vorprogrammiert. Zum Beispiel das vom „schwulen Urinkellner“. Das sei die wenig freundliche Bezeichung für einen Krankenpfleger, erfuhr die Soziologin Eva Nadai. Sie befragte im Rahmen eines Forschungsprojekts der Universität Bern Männer und Frauen in „geschlechtsfremden“ Berufen. Ergebnis: „Es gibt Vorurteile und negative Reaktionen auf Menschen, die in einem für ihr Geschlecht atypischen Berufsbild arbeiten.“ Das führe manchmal sogar dazu, dass solche Männer in geselliger Runde nicht zugeben, in welchem Beruf sie arbeiten.
Männer in Frauenberufen sind homosexuell – ein Vorurteil, das auch Börsig und Fiebig kennen. „Man muss doch nicht schwul sein, um Kosmetiker zu werden“, meint Fiebig kopfschüttelnd und verteilt vorsichtig einen Ekel erregend aussehenden gelben Brei auf dem Gesicht seiner Kundin. „Eine Karotinmaske“, erklärt er auf Nachfrage, „speziell auf den Hauttyp abgestimmt.“
Zugegeben, ein Mann, der liebevoll reinigende Lotionen, kühlende Tonics und straffende Masken aufpinselt, sieht zunächst komisch aus. Ungewöhnlich eben. „Ich denke“, insistiert Fiebig, „gerade Frauen lassen sich gern von einem Mann behandeln.“ Die Kundin unter der Karotinmaske stimmt zu: „Er ist viel vorsichtiger als seine Kolleginnen!“
Auch Börsig hat in seiner Branche eigentlich nur gute Erfahrungen gemacht. Negative Reaktionen in seinem privaten Umfeld seien selten. Auch im Beruf hat der Arzthelfer keine Probleme damit, dass er ein Mann ist: „Vor allem ältere Damen sind mir gegenüber völlig offen.“ Lediglich junge Mädchen verfielen bei seinem Anblick manchmal in nervöses Gekicher. „Aber ich hab da eine souveräne Art.“
Börsig nippt an seinem Kaffee. Den hat er selbst gekocht: „Das gehört zu meinen Aufgaben als Arzthelfer.“ Neben der Koordination von Terminen und der Organisation des Arbeitsalltags. Alles eigentlich typisch weibliche Aufgaben. Kein Problem für Börsig, wie er sagt. „Obwohl ich prinzipiell kein weiblicher Typ bin.“ Stimmt. Der Arzthelfer ist groß, durchtrainiert und braun gebrannt. Dass er früher Schlosser war, glaubt man ihm aufs Wort. Auch Fiebig mit seinen schlanken, feinen Händen hat ursprünglich Kfz-Schlosser gelernt. Ein Frauenberuf wurde es bei beiden also erst im zweiten Anlauf. „Das ist ganz typisch“, erklärt Soziologin Nadai. „In der Pubertät sind die klassischen Rollenvorstellungen noch so starr, dass ein Jugendlicher kaum einen Frauenberuf wählen wird.“
Hubert Börsig hat nach dem Zivildienst eine Krankenpflegerausbildung absolviert, weil ihm das Berufsbild gefiel. „Damals habe ich mir überhaupt keine Gedanken darüber gemacht, dass ich einen typischen Frauenberuf lerne.“ Arzthelfer wurde er dann vor allem „wegen der besseren Arbeitszeiten und weil man nicht so viel Stress hat“. Thomas Fiebig lernt Kosmetiker, weil er mit Menschen zu tun haben wollte. „Und weil“, das sagt er leicht verlegen, „meine Mutter ein Kosmetikstudio hat.“
Allgemein ist der Prozentsatz von Männern in „Frauenberufen“ immer noch gering. Der Anteil männlicher Sekretäre, Floristen, Kosmetiker, Pfleger oder Erzieher ist in den letzten Jahren kaum gestiegen, wie die Statistiken über sozialversicherungspflichtig Beschäftigte der Bundesanstalt für Arbeit belegen. In der Kategorie Bürofachkräfte arbeiteten 1995 in Deutschland 26,2 Prozent Männer, bis 1999 waren es gerade 1,1 Prozent mehr. Im Berufsfeld Krankenpflege stieg der Männeranteil im selben Zeitraum um nur 0,6 Prozent.
„In diesen traditonellen Frauenberufen sind die Verdienste niedriger, die Aufstiegsmöglichkeiten schlechter und ist das Prestige geringer“, erklärt die Soziologin Marlies Buchmann. Das habe vor allem historische Gründe. Weil Frauen früher kaum Haupternährer in ihrer Familie waren, war der geringere Verdienst leicht durchsetzbar. Der Mann verdiente das, was die Familie zum Leben brauchte, und die Frau ein „bisschen was dazu“. Heute müssen zwar immer mehr Frauen eine Familie ernähren, an ihrer schlechten Bezahlung hat sich aber nicht viel geändert.
Hubert Börsig stört der geringe Verdienst in seinem Job nicht: „Hauptsache, mir macht meine Arbeit Spaß.“ Und Karriere machen wolle er momentan sowieso nicht. Mit dieser Einstellung ist Börsig ein eher atypisches Exemplar: Wenn Männer einen weiblichen Beruf ergreifen, verstehen sie ihn häufig als Karrieresprungbrett. In der Fachsprache, so Eva Nadai, spricht man von der „gläsernen Rolltreppe“. Für Männer in Frauenberufen geht es auf der Karriereleiter wie vollautomatisch nach oben. Wie für Hans-Joachim Schmidt. Der Lehrer schaffte es innerhalb weniger Jahre erst zum stellvertretenden und dann zum Schulleiter einer Berliner Grundschule. Ein männlicher Schulleiter mit einem überwiegend weiblichen Kollegium ist typisch. Untersuchungen in den USA zeigen, dass Lehrer schneller in administrative Posten aufrücken als Lehrerinnen. Die Rolltreppe funktioniert!
Den geringen Männeranteil unter Grundschullehrern findet Schmidt bedauerlich. Deshalb hat er im letzten Jahr „gleich zugegriffen“, als sich ein männlicher Musiklehrer bewarb. Eine stärkere Geschlechtermischung im Lehramt hält er für wichtig, weil „Kinder auch männliche Bezugspersonen brauchen“. An seiner Schule kommen auf siebzehn weibliche drei männliche Lehrkräfte, dazu ein Hausmeister und ein Lehramtsanwärter – für eine Grundschule bereits ein relativ guter Schnitt.
Auch wenn sie nicht besonders stark vertreten sind: Im Berufsalltag stehen die Männer durchaus ihre Frau. Aber aller Anfang ist schwer, sagt Thomas Fiebig: „Im Gegensatz zu meinen Kolleginnen hatte ich mit Pflegeprodukten keinerlei Erfahrung. Ich musste mich stärker einarbeiten als eine Frau.“ Inzwischen aber geht er routiniert mit Pads, Pinsel und Bürste um und ist sich sicher, dass „man auch als Mann ein guter Kosmetiker sein kann“. Seine Kundin zumindest sieht zufrieden aus.
Auch Börsig fallen keine Gründe ein, wieso ein männlicher Arzthelfer eine Fehlbesetzung sein sollte. Sein Chef hat sogar ganz gezielt nach einem Mann gesucht. „Meine Praxis“, sagt Matthias Hartmann, Allgemeinmediziner, „liegt in einer unsicheren Gegend, und wir haben ab und zu auch mal Betrunkene im Wartezimmer. Da ist mir ein Mann im Vorzimmer lieber.“ Und natürlich sei Börsig ein genauso guter Arzthelfer wie seine Kolleginnen.
„Es sind gesellschaftliche Konstruktionen“, sagt Eva Nadai, „wenn wir einem Mann aufgrund seines Geschlechts bestimmte Persönlichkeitsmerkmale absprechen.“ Von chromosonaler Veranlagung, die Männer für bestimmte Berufe disqualifiziere, könne keine Rede sein. Das Phänomen des Geschlechtswechsels in einigen Berufen belege diese These: „Der Sekretär etwa war vor über hundert Jahren ein echter Männerberuf. Inzwischen gibt es deutlich mehr Sekretärinnen als Sekretäre.“ Nicht das Geschlecht, sondern persönliches Interesse qualifiziere Menschen für einen Beruf.
Dass er der einzige Mann in seiner Ausbildungsklasse ist, stört den Kosmetikerazubi Fiebig nicht. Das Arbeitsklima sei toll und er fühle sich integriert. Während er die Kundin verschönert, pilgern öfter Kolleginnen an der Kosmetikliege vorbei und schauen Fiebig beinahe liebevoll und ein bisschen stolz über die Schulter. Nadai: „Frauen akzeptieren die wenigen Männer in ihrem Beruf. Sie erhoffen sich durch sie eine Aufwertung des Berufsbildes.“ Nach dem Motto: Wenn sogar ein Mann diese Arbeit macht, kann sie so schlecht nicht sein.
Thomas Fiebig und Hubert Börsig wirken auf jeden Fall sehr zufrieden. Zum Flirten nutzen beide ihre Sonderstellung aber, wie sie sagen, nicht. Börsig: „Durch meine Arbeit in der Praxis habe ich noch keine Frauen kennen gelernt, mit denen sich Freundschaften ergeben hätten.“ Und Fiebig: „Es wäre absurd, wenn ich meine Kundinnen während der Behandlung befummelte. Das würde mir nur die Kundschaft kaputtmachen.“
ANGELIKA HENSOLT, 24, lebt in Bamberg und studiert Journalistik und Politik
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